Bis 2050 soll die Energieversorgung in der Schweiz substanziell umgebaut werden: Strom aus inländischen erneuerbaren Energiequellen soll die hohe Abhängigkeit von ausländischem Öl und Gas ablösen. Den Gesetzesrahmen dafür bilden das Energiegesetz sowie das Klima- und Innovationsgesetz. Die Schweiz stösst nur etwa 0,075% der weltweiten Treibhausgase aus. Sie verfügt dank der Wasserkraft über Standortvorteile bei der Elektrifizierung ihres Energiesystems und könnte zu den Vorreitern einer nachhaltigeren Wirtschaft gehören. Auch multinationalen Schweizer Konzernen wie Nestlé und Holcim kommt eine wichtige Rolle zu. (Von Dr. Sandro Merino, Leiter Asset Management, und Nick Hefti, Portfoliomanager)
Für die Gestaltung der künftigen Energieversorgung der Schweiz sind zwei Volksentscheide massgeblich. Am 21. Mai 2017 wurde das Energiegesetz mit 58,2% der Stimmen deutlich angenommen. Dieses soll zu einer ausreichenden, breit gefächerten, sicheren, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung beitragen. Am 18. Juni 2023 wurde vom Schweizer Souverän dem Klima- und Innovationsgesetz mit 59,1% ebenfalls deutlich zugestimmt. Dieses tritt am 1.1.2025 in Kraft. Es sieht vor, dass die Unternehmen spätestens im Jahr 2050 klimaneutral sein müssen. Das Ziel der Reduktion des Ausstosses von Treibhausgasen auf Netto-Null bis 2050 hat also eine gesetzliche Grundlage. Die Schweizer Energieversorgung befindet sich damit auf einem jahrzehntelangen Pfad hin zu dekarbonisierter Energie ohne Atomkraft. Die Elektrifizierung auf der Basis des Ausbaus inländischer erneuerbarer Energie und der Ausbau sowie die Integration des Stromnetzes in einen europäischen Kontext sind zentrale Umsetzungsaufgaben.
Die Schweiz verursacht aktuell mit rund 42 Megatonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr weniger als 0,1% des weltweiten jährlichen Ausstosses von derzeit fast 60 Gigatonnen (siehe Abb. 1).
Bis 2050 soll die Stromproduktion in der Schweiz stark zunehmen und den Grossteil des heute importierten Öls und Gases ersetzen. Neue Atomkraftwerke als Ersatz für die vier bestehenden Schweizer Atomkraftwerke sind nicht vorgesehen. Im Fokus steht der Ausbau von Photovoltaik, Wasserkraft und Windenergie, die den Elektrizitätsbedarf künftig decken sollen.
In Szenarien des Versorgers Axpo wird der jährliche Schweizer Stromverbrauch von ca. 63 TWh (im Jahr 2022) bis 2050 auf 86 TWh steigen (siehe Abb. 3). Die Zunahme um 23 TWh entspricht etwa der Stromenergie, die pro Jahr von zehn Staudämmen in der Grösse der Walliser Grande Dixence geliefert würde. Die elektrische Energiemenge pro Jahr aus neu installierter Photovoltaik soll bis 2050 jährlich um rund 35 TWh Energie zulegen. Das Ziel ist, den voraussichtlich ab 2040 wegfallenden Atomstrom durch Photovoltaik und einen moderaten Ausbau der Wasserkraft zu ersetzen.
Hierfür muss das Netz zwingend ausgebaut werden. Anlagen an hochalpinen Standorten für Solar- und Windenergie geniessen aufgrund der Licht- und Windverhältnisse besondere Vorteile. Der Zeitrahmen für die Realisierung ist knapp. Die Bewilligungsverfahren sowie der Ausgleich der Interessen zwischen Energiewirtschaft, Naturschutz und Wohnbevölkerung sind ebenso komplex wie zeitintensiv. Eine Analyse der Internationalen Energieagentur (IEA) kommt zum Schluss, dass die Schweiz bei der Umsetzung ihrer technisch und wirtschaftlich durchaus realisierbaren Energiestrategie noch deutlich zu langsam ist.
Der gesamte Energiebedarf der Schweiz (aktueller Primärenergiebedarf ca. 260 TWh/Jahr) wird heute zu knapp 80% aus fossilen Energieträgern (Öl und Gas) und fast ausschliesslich durch Importe gedeckt. Die restlichen gut 20% des Energiebedarfs stammen aus inländischer Stromproduktion. Weil die Elektrifizierung der Energieversorgung einen viel höheren Wirkungsgrad ermöglicht und aufgrund der Effizienzgewinne sinkt der Primärenergiebedarf auf etwa die Hälfte (siehe Abb. 4). Damit nimmt die Importabhängigkeit bei der Primärenergie von heute gut 200 TWh/Jahr bis 2050 auf nur noch 60 bis 35 TWh/ Jahr ab.
Die Schweiz hat über das Jahr gesehen nur einen kleinen Bedarf an Stromimporten von ca. 1 TWh. Allerdings importiert sie im Winter ca. 3 TWh und exportiert im Sommer ca. 2 TWh. Mit dem Ausbau der Stromproduktion bis 2050 wird sich der Importbedarf im Winter etwa verdoppeln. Je nach Szenario könnten um das Jahr 2040, wenn die letzten Schweizer AKWs vom Netz gehen, zusätzliche Stromimporte oder Gaskraftwerke und Wasserspeicherreserven notwendig sein, um die Stromversorgungssicherheit zu gewährleisten.
Holcim und Nestlé gehören zu den bedeutendsten Schweizer Unternehmen und aufgrund ihrer Geschäftsmodelle zu den global grössten Emittenten von Treibhausgasen. Während der Baustoffkonzern mit einem Ausstoss von 130 Megatonnen CO₂-Äquivalenten der grösste Emittent ist, folgt Nestlé mit 92 Megatonnen Treibhausgasen (hinter ABB) auf dem dritten Platz. Beide zusammen übertreffen die jährlichen Klimagasemissionen der Schweiz um das Fünffache. Um diese Emissionen einzudämmen bzw. unter dem Strich klimaneutral zu produzieren, haben Nestlé und Holcim konkrete Massnahmen und Zwischen- ziele bis ins Jahr 2050 definiert.
Beim Baustoffkonzern fallen die klimaschädlichen Gase zum grössten Teil bei der Herstellung von Zement an. Herkömmlicher Portlandzement wird aus Kalkstein, Ton und diversen anderen Zusätzen hergestellt. Dafür ist viel Energie erforderlich, da die Rohstoffe gemahlen und bei über 1400 Grad Celsius zu Klinker gebrannt werden. Zusätzlich setzt Kalkstein beim Brennen CO₂ frei. Deshalb will Holcim den Klinkeranteil schrittweise reduzieren. Es soll vermehrt rezyklierter Bauschutt sowie Gips und Ölschiefer zum Einsatz kommen. Zudem sollen die Öfen zunehmend mit Klärschlamm, Tiermehl, Altöl und Kunststoffen betrieben werden. Letztere setzen pro Wärmeeinheit weniger CO₂ frei als Kohle oder Schweröl.
… und setzt auf die CO₂-Abscheidung sowie die CSS-Speicherung
Da Holcim ein Zementunternehmen bleiben wird, ist eine Produktion ohne CO₂-Ausstoss unmöglich. Der Konzern setzt deshalb grosse Hoffnungen auf die CSS-Technologie, also die Abscheidung und Speicherung von CO₂. Damit kann das freigesetzte CO₂ abgeschieden und im Untergrund gelagert werden, was die Atmosphäre nicht belastet. Dafür wird Holcim bis 2030 weltweit rund 2 Mia. CHF investieren. Ab 2030 sollen damit rund 44% der Emissionsreduktion erreicht werden.
Nestlé will die Methangasproduktion massiv reduzieren …
Beim grössten Nahrungsmittelkonzern der Welt entsteht ein Drittel der Emissionen bei der Herstellung von landwirtschaftlichen Basisprodukten. So verursacht die Produktion von Milch und Fleisch grosse Mengen des besonders klimaschädlichen Methans. Ungefähr die Hälfte des Methangases, das bei der Produktion von Milch anfällt, entsteht bei der Verdauung in den Mägen der Kühe. Eine Möglichkeit, den Ausstoss von Methan bei den Rindern zu reduzieren, liegt in Futtermittelzusätzen. Diese sollen mit Unterstützung der Wissenschaft (u.a. ETH Zürich) die Methanproduktion in den Mägen der Kühe um bis zu 80% reduzieren.
… sowie das Herdenmanagement optimieren und die Agroforstwirtschaft fördern
Grosse Einsparungsmöglichkeiten sieht Nestlé auch mit einem optimierten Herdenmanagement und der damit verbundenen höheren Produktivität der Betriebe. So könnten künftig Futterroboter eingesetzt werden, die es den Kühen ermöglichen, dann zu fressen, wenn es ihnen passt. Den Tieren soll es dadurch besser gehen, sie sind gesünder und haben ein längeres Leben. Da Kühe in den ersten zwei Jahren keine Milch geben, aber Methan ausstossen, sinkt der Klimagasausstoss pro Liter Milch, wenn ein Tier länger lebt. Nestlé setzt zudem auf die Umstellung der konventionellen Landwirtschaft auf Agroforstwirtschaft. Elemente des Ackerbaus und der Tierhaltung werden dabei mit der Forstwirtschaft kombiniert. Dies hilft der Bodenfruchtbarkeit und im Schatten von Bäumen können auch Kaffeesträucher und Kakaobäume besser gedeihen. Eine solche landwirtschaftliche Methodik unterstützt zudem die Biodiversität. Zu diesem Zweck treibt Nestlé die Aufforstung kräftig voran.
Obwohl der Nahrungsmittelkonzern erst in rund 25 Jahren die Klimaneutralität anstrebt, gibt es bereits in rund fünf Jahren eine erste grössere Standortbestimmung mit messbaren Zielwerten. So strebt Nestlé bis zum Jahr 2030 eine Halbierung der Emissionen auf 46,2 Megatonnen CO₂-Äquivalente gegenüber 2018 an. Dieser Wert ist kommuniziert – daran wird sich der Konzern messen lassen müssen.
Trotz der angestrebten Verbesserungen verantworten so- wohl Holcim als auch Nestlé in den kommenden Jahren weitere klimaschädliche Emissionen in beträchtlichem Umfang. Es ruht viel Hoffnung auf wissenschaftlichen Durchbrüchen bei Verfahren wie CCS oder den methanreduzierenden Zusatzstoffen in der Viehnahrung. Trotzdem sind die Klimapläne von Holcim und Nestlé mehr als reine Absichtserklärungen. Sie basieren auf den Vorgaben der Science Based Targets Initiative (SBTi). Diese bewertet die Reduktionsziele von Unternehmen und prüft, ob sie mit wissenschaftlichen Szenarien zur Bekämpfung des Klimawandels vereinbar und im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen sind. SBTi gilt mittlerweile als Goldstandard für die externe Prüfung der Klimaziele und auch die Investoren achten immer stärker auf dieses Gütesiegel.