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«Niederlagen gehören zu einem erfolgreichen Leben»

Macht Erfolg wirklich glücklich? Ja, aber Geld und Karriere hellen die Stimmung nur kurzfristig auf, gute Beziehungen hingegen ein Leben lang – sagt Alexander Hunziker, Professor für Positive Leadership an der Berner Fachhochschule BFH.

©Roland Juker Fotografie, rolandjuker.ch

Herr Hunziker, was ist Ihr jüngstes Erfolgserlebnis?

In unserem Fachkurs «Positive Leadership» lernen Führungskräfte, wie sie in ihrem Team mehr positive Energie aktivieren können. Kürzlich erzählte eine Teilnehmerin eine Erfolgsgeschichte. Sie arbeitet in der Pflege und musste Jobs vergeben, vor denen sich sonst alle drücken. Nun erstellte sie eine Liste mit allen zu erledigenden Aufgaben. Die Mitarbeitenden durften dann Post-its zu den Aufgaben kleben, um die sie sich gerne kümmern würden. Überraschenderweise fand sich für jede Arbeit eine Person, die diese gerne tut. Das Beispiel zeigt, dass Führungskräfte oft mit einfachen Mitteln die Voraussetzungen schaffen können, um bei Mitarbeitenden freudige Energie freizusetzen. Diese «Zettelchen-Übung» lässt sich auch auf andere Situationen übertragen.

Wie definieren Sie Erfolg?

Erfolg heisst, die gesetzten Ziele zu erreichen. Die Frage ist nur, welche Ziele ich mir setze. Aus Sicht der Glücksforschung gibt es solche, die nachhaltig glücklich machen und solche, die nur einen kurzfristigen Effekt auslösen. An ein neues Auto, einen Bonus und einen Karrieresprung gewöhnt man sich schnell. Dann beginnt man, sich mit Leuten zu vergleichen, die es zu noch mehr «gebracht haben». Längerfristig wirkt es, wenn man eine sinnvolle Tätigkeit ausübt und gute Beziehungen pflegt. Unsere Gesellschaft steuert in die falsche Richtung. Sie schreibt Zielen einen hohen Wert zu, die nicht nachhaltig zu unserem Glück beitragen. Kaum ist ein Ziel erreicht, jagen wir schon dem nächsten nach – und geraten so in ein Hamsterrad.

Hat Erfolg auch etwas mit der Anerkennung von aussen zu tun?

Wer eine Leistung vollbracht hat, freut sich darüber und ist darauf stolz. Typischerweise finden andere das auch toll. Aber manche Menschen stellen vor allem auf ihren inneren Kompass ab. Sie sagen sich: «Ich habe das erreicht. Und was die anderen denken, ist mir egal.» Das kann auch eine Quelle des Glücks sein. Wenn allerdings jemand sein Ziel erreicht, aber spürt, dass er damit in seinem Umfeld auf Zurückhaltung, ja, Ablehnung, stösst, mindert dies das Glück.

«Glück macht erfolgreich. Zufriedene und dankbare Menschen erreichen ihre Ziele öfter.»

Woran denken Sie konkret?

Vielleicht möchte jemand Erfolg um jeden Preis. Er greift zu unfairen Tricks, um alle anderen zu überrunden. Oder eine Person jettet um die Welt, um die höchsten Gipfel abzuklappern – aber nicht, weil sie Freude daran hat, sondern lediglich, um andere zu beeindrucken. In diesen Fällen führt Erfolg nicht zu nachhaltigem Glück. Das geschieht vielmehr dann, wenn der Erfolg ethisch fair und aus intrinsischer Motivation erzielt wird. Umgekehrt gilt noch mehr: Glück macht erfolgreich. Zufriedene und dankbare Menschen erreichen ihre Ziele öfter. Sie gestalten ihr Leben so, dass sie ihre Vorhaben mit Freude und Energie und im Einklang mit ihrer Persönlichkeit angehen – und nicht, weil sie erfolgreich sein wollen. Erfolgsrezepte lassen sich deshalb nicht einfach kopieren. Es bringt also nichts, wenn ich versuche, gleich zu leben wie Apple-Gründer Steve Jobs.

Ihnen fehlt der typische Rollkragen-Pullover von Steve Jobs …

Wir sollten nicht versuchen, so wie andere zu sein. Die Kernfragen sind: Wer bin ich und was will ich? Was energetisiert mich? In unserer Gesellschaft schätzen wir es, wenn jemand die Zähne zusammenbeisst und seine eigenen Bedürfnisse vernachlässigt. Wir lernen es oft nicht, liebevoll mit uns selbst umzugehen. So beuten viele Menschen ihre eigenen Ressourcen dauerhaft ohne eigentliche Not aus. Im Extremfall führt das zum Burnout.

Gibt es so etwas wie ein Erfolgsgen?

Das ist mir aus der Wissenschaft nicht bekannt. Erwiesen ist aber, dass Glück eine vererbbare Komponente hat. Je nach Studie macht die Glücksbegabung etwa 50 Prozent aus. Die gute Nachricht ist also: Die andere Hälfte davon können wir beeinflussen. Wir sind unseres Glückes Schmied.

Verraten Sie uns die wichtigsten Tipps.

Sehr wichtig ist, dass wir Dankbarkeit lernen. Dazu kann man sich jeden Abend an drei schöne Momente des Tages erinnern und diese aufschreiben. Es muss nichts Spektakuläres sein. Vielleicht ist es ein guter Espresso, schönes Wetter oder ein spannendes Gespräch. Wer sich diese Dankbarkeitsübung zur Gewohnheit macht, erlebt die besonderen Momente bewusster und geniesst sie. Wer Mühe hat mit der Selbstdisziplin, welche diese Übung erfordert, kann mit einer Kollegin, einem Kollegen vereinbaren, sich gegenseitig jeden Abend eine kurze Nachricht mit den drei Highlights des Tages zu schicken. Das stärkt dann erst noch die Beziehung und fördert so das Glück auf einer weiteren Ebene.

Wie gehen andere Kulturen mit Erfolg und Misserfolg um?

Es ist bekannt, dass kollektivistische Kulturen aus dem asiatischen Raum ein anderes Verständnis von Erfolg haben. Dort steht das Wohl der Gruppe im Zentrum, nicht jenes des Individuums. Wir huldigen dem Individualismus, ohne dass uns dies bewusst ist. In kollektivistischen Kulturen gibt es Menschen, die noch nie allein in einem Raum waren. Für die meisten von uns wäre das unvorstellbar. Das gibt einen Hinweis darauf, dass das, was wir für Glück halten, auch von unseren Vorstellungen mitkonstruiert wird.

Der Bakteriologe Alexander Fleming vergass 1928 seine Bakterienkultur im Labor. Später stellte er staunend fest, dass Schimmelpilze die Bakterien zerstört hatten. Die wundersame Substanz nannte er Penicillin. Welche Rolle spielt der Zufall bei unseren Erfolgen?

Wir kennen viele Beispiele von Innovationen, die durch Zufall entstanden sind. Dabei erfahren wir nur von den Geschichten mit einem «Happy End». Wir wissen nicht, wie oft Menschen einen Zufallstreffer übersehen oder ignoriert haben. Dennoch können wir aus den Beispielen einiges lernen. So zeichnet es kreative Leute aus, dass sie verrückte Ideen nicht sofort verwerfen. Sie verharren länger bei einer Sache. Damit erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen «etwas zufällt». Wer «achtsam» ist und meditiert, lässt vielleicht abends den Tag nochmals Revue passieren und betrachtet ihn aus neuer Perspektive. Und möglicherweise kommt dann das Aha-Erlebnis. Hierzu braucht es beides, die intensive Beschäftigung mit einer Sache – und die Leere.

Das erklärt wohl, warum «Achtsamkeit» in der Business-Welt angekommen ist.

Ja, denn verschiedene Studien zeigen: Achtsame Menschen – welche die Welt bewusst wahrnehmen – gehen kreativer und lösungsorientierter an Probleme heran. Wenn wir zum Beispiel jede Sitzung mit vier Minuten Stille beginnen, steigt das Vertrauen des Teams, dass man mit peinlichen Dingen angemessen umgehen wird und so steigert sich die Teamleistung.

Wir halten das Wettbewerbsprinzip gerne hoch. Wie wirkt sich das auf uns aus?

Der Wettbewerb hat seine positiven Seiten. Aber ein Skifahrer steht zwei Minuten im Wettbewerb. Dann trainiert er wieder mit andern zusammen. Ich denke, dass wir den Wettbewerb – aufgrund unseres marktwirtschaftlichen Denkens – überpositiv wahrnehmen. Wollen wir in jeder Lebenssituation immer gewinnen, verkrampfen wir uns. Umso mehr, weil wir den Erfolg in unserer Kultur dem Individuum zuschreiben. Dann kämpft jede und jeder letztlich allein. Würden wir den Erfolg wenigstens einem Team zuordnen, könnten wir uns leichter gegenseitig unterstützen. Die Leerläufe und Verluste sind enorm. Es gibt Schätzungen, die davon ausgehen, dass ein Drittel unserer Gesundheitskosten auf chronischen Stress zurückgehen.

Speziell an unserer Zeit ist, dass unsere Erfolge auch «instagramable» sein müssen.

Im Zeichen der sozialen Medien begnügen wir uns nicht mehr mit dem beruflichen Erfolg, sondern zelebrieren auch den privaten. Das führt zu Freizeitstress. Ich kann nicht einfach gemütlich zu Hause sitzen. Das lässt sich nicht erfolgreich «posten». Also muss ich noch River Rafting machen. Vieles, was tiefbefriedigend und entspannend ist, ist leider nicht «instagramable».

Wie sieht ein gesunder Umgang mit Niederlagen aus?

Wer glücklich durchs Leben geht, sagt sich: «Entweder ich erreiche mein Ziel – oder ich lerne etwas dazu». Niederlagen gehören zu einem erfolgreichen Leben. Das ist ein schönes Paradox. Vielleicht meinen einige, sie wären glücklich, wenn sie nie negative Emotionen hätten. Das ist Unsinn! Die Gefühle, die eine Niederlage auslöst, sind ein wichtiger Teil eines glücklichen Lebens. Fällt uns der Erfolg in den Schoss, freut man sich weniger darüber, als wenn man ihn gegen Widerstand erreicht hat. Es geht um unser Wachstum, nicht um den Dauererfolg. Wer möchte schon zur Tagesordnung übergehen, wenn eine geliebte Person stirbt? Man kann nicht lieben und nie verletzt werden. Man kann aber lernen, mit Verletzungen umzugehen.

Alexander Hunziker lehrt und forscht an der Schnittstelle von Wirtschaft und Psychologie. Er ist Professor für Achtsamkeit und Positive Leadership an der Berner Fachhochschule BFH und Autor des Buches «Positiv Führen, Leadership – mit Wertschätzung zum Erfolg».