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Zeit, über Geld zu reden.

Die Schweizer Einkommensverteilung in Zeiten der Corona-Pandemie

Mit welchen Folgen ist durch Corona für die Schweizer Einkommensverteilung zu rechnen?

In Krisenzeiten werden die wirtschaftlichen Karten neu gemischt. Somit verändern sich auch die Einkommensstrukturen innerhalb einer Gesellschaft – in Krisen häufig hin zu einer weniger ungleichen Verteilung. Höhere Einkommen sind typischerweise volatiler, weshalb sie in konjunkturellen Krisen stärkere Rückgänge erfahren. Gilt dies auch derzeit?

Die atypische Krise

Zu Beginn des Jahres 2021 befinden wir uns weiterhin inmitten einer Krise. Gerade erst musste der Bundesrat einen erneuten Lockdown für die Schweiz verkünden und die Massnahmen bis mindestens Ende Februar 2021 verlängern. Es stellt sich jedoch die Frage, wie sich die Corona-Pandemie auf die Einkommensverteilung in der Schweiz auswirkt. Wird auch diese Krise zu einer Reduktion der Einkommensungleichheit beitragen? Oder ist diesmal alles anders? Noch gibt es keine Zahlen dazu, nicht einmal für die erste Welle im Frühjahr 2020. Dennoch lässt sich bereits einiges dazu sagen. Um es vorweg zu nehmen: tatsächlich handelt es sich um eine «atypische» Krise, jedenfalls bezüglich der Auswirkungen auf die Einkommensverteilung in der Schweiz.

BIP-Verlust = Einkommensverlust

Die Corona-Pandemie führt zu einer erheblichen Veränderung der Einkommen. Die Pandemie und die Massnahmen zu ihrer Bekämpfung haben im 2. Quartal 2020 zu einem historisch starken Einbruch des BIP geführt: Fast ein Zehntel der Wirtschaftsleistung ging zwischen Ende 2019 und dem 2. Quartal 2020 verloren. Auf das ganze Jahr 2020 gesehen sieht die zu erwartende Reduktion des BIPs um rund 3,1% zwar schon wesentlich weniger dramatisch aus, verglichen mit dem Jahr 2019 entspricht dies jedoch einem Verlust von über 20 Milliarden Franken. Und die Krise ist damit noch nicht ausgestanden: Angesichts der aktuelle verschärften und verlängerten Restrektionen ist im ersten Quartal 2021 wieder mit einem empfindlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung zu rechnen.

Stark vereinfacht, aber als Approximation durchaus geeignet, lässt sich dieser BIP-Verlust mit einem entsprechenden Verlust an Einkommen in der Schweiz gleichsetzen. Je nachdem, wer diese erheblichen Einkommensverluste tragen muss, wird sich dies auch auf die Einkommensverteilung in der Schweiz niederschlagen. Dabei können – wiederum stark vereinfacht – drei verschiedene Gruppen unterschieden werden:

  • Arbeitnehmende einschliesslich selbständig Erwerbstätige
  • Kapitalbesitzer (zu denen indirekt auch wir alle über die Pensionskassen gehören)
  • Der Staat

Unterdurchschnittliche Einkommen müssen weitere Einbusse verkraften

Arbeitnehmende sind durch die Reduktion der Nachfrage nach Arbeit betroffen, verbunden mit einer entsprechenden Reduktion des Einkommens. Dies zeigt sich in Form von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit; in der Corona-Krise kommen in besonderem Mass noch die Einkommen der Selbständigen und Kleinunternehmer hinzu. Allerdings werden diese Verluste stark durch die Sozialversicherungssysteme relativiert, welche während der Krise auch noch ausgebaut wurden. Der Staat übernimmt also einen wesentlichen Teil der Einkommensverluste der Arbeitnehmer. Dennoch verbleibt ein substanzieller Verlust bei den Arbeitnehmenden. So sind die Arbeitnehmereinkommen im ersten Halbjahr 2020 auch nach Ausgleich durch Lohn- und Einkommensersatz 2020 um rund 1 Prozent zurückgegangen.

In der Corona-Krise sind vor allem Bereiche wie Handel, Tourismus, Gastronomie, persönliche Dienstleistungen und der Verkehr weit überdurchschnittlich betroffen. Während – nach einigen anfänglichen Produktionsunterbrüchen – die Arbeit in der Industrie weitgehend normal verläuft und die wissensintensiven Dienstleistungen dank Home-Office-Möglichkeit und Digitalisierung kaum in Mitleidenschaft gezogen werden, müssen vor allem Wirtschaftszweige weitere Einbussen verkraften, in denen das Einkommen der Mitarbeitenden häufig bereits ohne Einbusse im unteren Bereich der Einkommensverteilung liegt. Dass dies nicht nur eine theoretische Überlegung ist, bestätigen erste Daten einer Befragung aus Deutschland sowie Einkommensdaten aus Spanien : Beiden zeigen, dass in der Corona Krise tiefe Einkommen überproportional von Einkommensverlusten betroffen sind.

Kapitalbesitzer weniger stark betroffen als in anderen Krisen

In einer normalen konjunkturellen Krise sind es die Kapitalbesitzer, die unmittelbar und am stärksten von einem Einkommensrückgang betroffen sind. Dies auch deshalb, da sich deren Einkommen im Geschäftsverlauf in der Regel residual ergibt. Grundsätzlich gilt dies auch in der Corona-Pandemie, allerdings gibt es zwei Faktoren, die die Verluste dieses Mal beschränken. Zum einen hängt dies mit den Bereichen der Wirtschaft zusammen, die besonders von der Corona-Krise betroffen sind. Diese sind nicht nur arbeitsintensiv und mit im Schnitt eher tiefen Löhnen, sondern sie weisen auch eine tiefere Kapitalintensität auf. Dementsprechend spielen die Kapitaleinkommen hier eine geringe Rolle, bzw. machen diese Branchen in der Gesamtheit der Kapitaleinkommen nur einen unterproportionalen Anteil aus. Zum anderen kommt ein Teil der Einkommensverluste aus Kapital dadurch zustande, dass frühere Investitionen vorzeitig abgeschrieben werden müssen. Es ist jedoch zu hoffen, dass die Corona-Pandemie, insbesondere dank Impfungen, überwunden werden kann und wir zu den bisherigen Lebensgewohnheiten zurückkehren können. Daher sind auch keine dauerhaften und massiven strukturellen Veränderungen im Wirtschaftsleben zu erwarten, die eine ausserordentliche Abschreibung von Kapital mit erheblichem Umfang notwendig machen würden. Dies zeigt sich auch in den Börsenkursen, welche sich nach einem kurzfristigen starken Einbruch, während der ersten - durch hohe Unsicherheit geprägten - Phase sehr schnell erholt haben. Die Finanzmärkte gehen also von keinem starken oder gar dauerhaften Rückgang der Unternehmenseinkommen aus. Die Corona-Krise scheint die Kapiteleinkommen insgesamt weniger stark zu treffen als es in einer Konjunkturkrise typisch ist. Da Kapitaleinkommen überproportional bei Personen mit hohen Einkommen anfallen, ist dies ein weiterer Faktor, weswegen die Corona-Krise zumindest weniger ausgleichend auf die Einkommensverteilung wirkt als eine typische Konjunkturkrise.

Der Staat übernimmt den grössten Anteil der durch Corona entstandenen Einkommensverlusten

Es verbleibt der Staat. Auf der Einnahmenseite ist er durch zurückgehende Steuereinnahmen ebenfalls betroffen, ausschlagegebend für den Staat sind jedoch die Zusatzausgaben. Insgesamt kompensiert der Staat auf diese Weise wohl den grössten Teil er Einkommensausfälle durch die Corona-Pandemie. Da dies jedoch aktuell durch Neuverschuldung finanziert wird, gehen davon zumindest kurzfristig keine Auswirkungen auf die Einkommensverteilung in der Schweiz aus.

Die Corona-Pandemie verschärft die Ungleichheit

Zusammengefasst deutet vieles darauf hin, dass kurzfristig die Ungleichheit der Einkommen mit der Corona-Krise zunimmt. Das ist atypisch für eine Wirtschaftskrise: Normalerweise sind Bereiche wie Industrie oder der Finanzsektor stärker betroffen, in denen die Einkommen im Mittel höher liegen, wohingegen die binnenorientierten Dienstleistungen häufig als Stabilitätsanker fungieren. Insofern ist die Corona-Krise ungewöhnlich in ihrer Wirkung auf die Einkommensverteilung. Die Corona-Pandemie kann insgesamt keinesfalls zu einer Angleichung der Einkommen in dem Ausmass führen, wie dies für eine Krise dieser Grössenordnung typischerweise der Fall ist. Und zumindest am untersten Ende der Einkommensverteilung wird die Ungleichheit zunehmen – hier ist die Belastung überproportional gross.

Weniger klar als die kurzfristigen Wirkungen ist, inwieweit dies mittel- und insbesondere langfristig wieder ausgeglichen werden kann. Zum einen ist dabei die Frage relevant, ob nach der Überwindung der Corona-Krise eine weitgehende Rückkehr zum Status quo ante stattfindet. Ist dies der Fall, dann dürften auch die entsprechenden Jobs und damit das Einkommen wieder entstehen. Dadurch sollten auch die Effekte auf die Einkommensverteilung schwinden. Allerdings ist nicht auszuschließen - und dies ist der zweite zu beachtende Punkt - dass es im Zuge der Corona-Krise auch zu dauerhaften Struktur- und Verhaltensänderungen kommt – beispielsweise im Tourismus und im Reiseverhalten. Hier vermischt sich das Bild allerdings mit anderen, schon länger anhalten Tendenzen wie die der Digitalisierung, der Individualisierung oder den Folgen des Klimawandels. Diese können sich ebenfalls – aus ähnlichen Gründen wie die Corona-Krise – nachteilig auf die Einkommensverteilung auswirken. Dabei mag die Corona-Krise, die eine oder andere Entwicklung beschleunigt haben, aber ist kaum als deren Auslöser anzusehen.

Als dritter zu beachtendem Punkt verbleiben schliesslich die Staatsschulden, die während der Corona-Krise angehäuft wurden. In der einen oder anderen Form müssen diese irgendwann abgetragen werden, sei dies in Form einer expliziten Rückzahlung oder indem sich der Spielraum für andere Staatsausgaben verringert. Da das Steuersystem insgesamt progressiv ausgestaltet ist, gehen von einem Schuldenabbau wohl eher die Einkommensungleichheit verringernde Wirkungen aus.

Während die Einkommensungleichheit also kurzfristig zunimmt, ist mittel- bis langfristig eher keine derartige Wirkung durch die Corona-Pandemie zu erwarten. Dass es kurzfristig nicht noch zu viel stärkeren Verschiebungen kommt, ist vor allem den sozialen Sicherungssystem und den zusätzlichen Massnahmen des Staats zu verdanken. Langfristig sollte auch gerade dies dazu beitragen, dass die Einkommensungleichheit durch die Corona-Krise nicht dauerhaft zunimmt.

Corona-Krise betrifft nicht nur die Einkommensverteilung

Die obgenannten Überlegungen haben sich auf die Wirkung der Einkommensungleichheit beschränkt. Die Ausführungen sollen aber nicht abgeschlossen werden, ohne auf einige weitere relevante Verteilungsaspekte der Corona-Krise hinzuweisen, die letztendlich relevanter bzw. stärker betroffen sind als die Einkommensverteilung. So wurde bereits vielfach aufgezeigt, dass die Corona-Pandemie überproportional zulasten der Frauen geht. Eine grosse Rolle spielt hier der zusätzliche Betreuungsaufwand der Kinder, aber auch, dass Frauen besonders häufig in den stark betroffenen Branchen tätig sind. Diese Entwicklung droht die in den letzten Jahren erreichten Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter zu egalisieren.

Ebenfalls Rückschläge sind auf Ebene der globalen Einkommensverteilung zu befürchten, unter anderem da die Überwindung der Pandemie in vielen weniger entwickelten Ländern mehr Zeit benötigt als bei uns.

Die jedoch wohl grösste Gefahr für die «Verteilung» droht im Bildungsbereich: dies gilt in der Schweiz aber auch global. Die Folgen von Schulschliessungen und Homeschooling wirken stark asymmetrisch und benachteiligen diejenigen, deren Chancen im Bildungssystem sowieso bereits geringer sind. Damit wird einer der Erfolgsfaktoren der Schweiz, welcher wesentlich zu einer gleichmässigeren Einkommensverteilung beiträgt, gefährdet: Das Bildungs- und Ausbildungssystem, welches das Teilhaben am Wohlstand für einen breiten Kreis der Bevölkerung ermöglicht und einen wesentlichen Beitrag zur Chancengerechtigkeit in der Schweiz leistet.

Bank Cler Swiss Income Monitor

Mit grossem Interesse werden wir die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Schweizer Einkommensverteilung der Jahre 2020 und 2021 anhand des Bank Cler Swiss Income Monitor analysieren– auch wenn dies leider aufgrund der verzögerten Datenverfügbarkeit erst in einigen Jahren möglich sein wird.