CIO Kommentar, Montag, 02. Mai 2022
Am kommenden Mittwoch, 4. Mai, wird erwartet, dass die US-Notenbank die Leitzinsen um 0.50% anheben wird und damit die Leitzinsen für den USD auf 1% bringen wird. Etwas unerwartet, aber dennoch möglich wäre eine Anhebung um gar 0.75%.
Bis Ende des Jahres dürften monatliche weitere Schritte die Leitzinsen für den USD auf knapp 3% anheben. Obwohl die US-Wachstumszahlen für das erste Quartal einen leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung ergeben hatten, war dieser Effekt vor allem auf den Aussenhandel und die gesunkenen Staatsausgaben zurückzuführen. Der private Konsum und die Unternehmensinvestitionen bleiben in den USA weiterhin in guter Verfassung.
Die US-Notenbank strafft die Geldpolitik erheblich und reagiert damit auf die Inflation der Konsumentenpreise, die für März auf 8.5% gestiegen war und sich damit auf einem 40-Jahres hoch befindet. Auch die US-Kerninflation, welche den Anstieg bei den Preisen für Energie und Nahrungsmitteln aussondert, war im März auf 6.5% angestiegen. Dieser Umstand dürfte für das schärfere Vorgehen der US-Notenbank eine wichtige Rolle gespielt haben. Diese beginnende Straffung der Geldpolitik sorgt an den Aktienmärkten für mehr Volatilität. Am vergangenen Freitag sind die US-Aktienmärkte deutlich eingebrochen (S&P 500, - 3.6%), sie scheinen sich heute aber zu stabilisieren.
Die Zinsen (Verfallsrendite) für 10-jährige US-Staatsanleihen haben sich bei knapp 3% eingependelt und spiegeln damit in etwa die langfristigen Inflationserwartungen für die US-Wirtschaft. Das bedeutet, dass obwohl die USA aktuell einen intensiven Inflationsimpuls durchläuft, die Inflationserwartungen langfristig bei etwa 2% bis 3% verankert bleiben. Wäre dies anders und würden die Zinsen für US-Staatsanleihen weit über 3% steigen, dann könnte man dies als Kontrollverlust der US-Notenbank über die Inflationserwartungen deuten. Das scheint aber derzeit nicht der Fall zu sein und das nunmehr entschiedenere Eingreifen der Zentralbank soll dazu beitragen, dass diese Verankerung der Inflationserwartungen proaktiv bewahrt bleibt. Die US-Notenbank steht vor der schwierigen Aufgabe, zum einen den Inflationsimpuls zu dämpfen und die Verankerung der langfristigen Inflationserwartungen zu bewahren und zum anderen ein Abwürgen der US-Konjunktur und eine folgende Rezession zu vermeiden. Das Gelingen dieser sogenannten «weichen Landung» ist ein wichtiger Unsicherheitsfaktor für die Kursentwicklung an den Aktienmärkten.
In der Eurozone ist die Kerninflation mit 3.5% (April) ebenfalls deutlich gestiegen. Die Europäische Zentralbank EZB hat bisher aber etwas behutsamer kommuniziert, wenn es um die Straffung der Geldpolitik geht. Ob die EZB Anfang Juni eine Korrektur ihrer Politik beschliessen wird, hängt auch von den nächsten Inflationsdaten für die Eurozone ab, die am 18. Mai publiziert werden. Insgesamt sind die Konjunktur und der Arbeitsmarkt in der Eurozone weniger von einer Überhitzung bedroht als in den USA. Damit ist das Risiko, dass ein substanzieller Zinsanstieg die Konjunktur in der Eurozone abwürgen könnte durchaus materiell und erklärt das bisher zurückhaltende agieren der EZB. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die Null-Covid Strategie Chinas, die mit erheblichen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden ist, tragen dazu bei, dass die EZB keine scharfe Anhebung der Leitzinsen signalisiert hat. Dennoch dürften die Leitzinsen in der Eurozone bis Ende Jahr moderat um gut 0.5% angehoben werden.
Die Schweizerische Nationalbank SNB dürfte sich weiterhin im Windschatten der EZB bewegen. Die Periode mit Negativzinsen für den CHF könnte schon bald zu Ende gehen. Die Leitzinsen dürften aber unter dem Niveau der Leitzinsen für den Euro liegen. Aus heutiger Perspektive bedeutet dies, dass wir in 9 bis 18 Monaten Leitzinsen für den CHF nahe bei null sehen könnten. Die Zinsen für lange Laufzeiten, am sogenannten langen Ende der Zinskurve, könnten anfänglich noch etwas steigen, es wäre aber eher überraschend, wenn die Verfallsrendite für 10-Jährige CHF-Staatsanleihen Richtung 2% ansteigen würden.
Für langfristige Hypothekarfinanzierungen rechnen wir somit trotz gegenwärtigem Inflationsschock auch nach den Leitzinsanpassungen mit weiterhin tiefen Zinsniveaus unter 2%.
Mit zunehmender Kriegsdauer werden die wirtschaftlichen Folgen für Russland mehr Bedeutung haben. Gemäss Schätzungen verschiedener Institute dürfte die russische Wirtschaft bis Ende 2023 um etwa einen Achtel schrumpfen.
Die EU stimmt sich in diesen Tagen über weitere Sanktionen ab. Insbesondere wird über einen möglichen kompletten Verzicht auf russisches Erdöl, nach einer kurzen Übergangsphase, diskutiert. Es ist offenbar vielen EU-Ländern bereits gelungen, alternative Lieferoptionen zu erschliessen und die Abhängigkeiten gegenüber russischem Öl deutlich zu reduzieren.
Inwiefern es Russland gelingen wird seine Öl-Exporte rasch an andere Länder zu verlagern, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Dass der Westen mit Ländern wie Indien oder China weiter über ihre Haltung zu den Sanktionen gegen Russland verhandelt, zeigt dass man bemüht bleibt, eine Umgehung der Sanktionen mit diplomatischem Druck so schwierig wie möglich zu gestalten. Wirtschaftlich und technologisch hat der Westen weit mehr zu bieten als Russland. Man müsste also in einer guten Verhandlungsposition sein, um Ergebnisse zu erzielen.
Der russische Angriffskrieg geht derzeit mit unverminderter Intensität weiter und es ist absehbar, dass der russische Feiertag am 9.Mai, am «Tag des Sieges», wenig Chancen für einen Waffenstillstand oder gar für ein Ende des Krieges bieten wird. Im Gegenteil, die Kampfhandlungen könnten sich in den nächsten Wochen noch intensivieren, da verschiedene neue russischen Offensiven im Osten und im Süden der Ukraine erwartet werden. Inwiefern die Lieferungen von schwerem militärischem Gerät an die Ukraine, Gegenoffensiven erlauben wird, bleibt unklar. Aber es zeichnet sich ab, dass der «Tag des Sieges» abgesehen von russischen Propaganda Botschaften kein solcher sein wird. Dass 77 Jahre nach der unsäglich opferreichen Befreiung Russlands und Osteuropas durch die rote Armee, am 9. Mai 2022 ein erbitterter Bruderkrieg wüten wird, ist eine Tragödie unserer Zeit.
Einen Sieg im Krieg gegen die Ukraine wird Russland auch in künftigen Jahren am 9. Mai aber niemals auf würdige Weise als Sieg gegen einen unmenschlichen Aggressor feiern können.
Die Aktienmärkte eröffnen heute in Europa, unter dem Einfluss des US-Börsenschlusses vom Freitag, negativ und fallen etwa 1.5%. Der deutsche DAX-Index verliert etwa 0.60% und der SMI etwa 0.80%. Für die US-Aktienmärkte wird nach den deutlichen Verlusten vom Freitag eine positive Eröffnung um etwa +0.50% erwartet.
In unserer Anlagestrategie halten wir an unserer neutralen Aktienquote fest. Auch die deutliche Untergewichtung von Obligationen zugunsten von Liquidität und diverserer alternativen Anlagen wird beibehalten. (Stand ca. 13:00 Uhr, 2.5.2022, Basel Zeit)