CIO Kommentar, Montag, 07. Juni 2021
Zwar blieb der Stellenaufbau im US-Dienstleistungssektor im Mai etwas unter den Erwartungen, diese gedämpfte Entwicklung nimmt aber wie schon im April den Überhitzungsängsten für die Wirtschaft etwas die Basis. Somit wird dieses schwache Ergebnis sogar zu einer guten Nachricht für die Aktienmärkte. Die Daten zum US-Arbeitsmarkt für Mai sind nicht leicht zu interpretieren, aber es ist plausibel, dass die gegenwärtige Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot übertrifft. Erklärungsversuche ziehen auch die staatlichen Hilfszahlungen bei, die potentiellen Arbeitskräften noch ermögliche auf eine Anstellung zu verzichten.
Die Erwartung bleibt aber, dass in den nächsten Quartalen die Beschäftigung deutlich steigen wird. Die Pandemie hat relativ zum Trend, der vor ihrem Ausbruch zu beobachten war, zu einer Beschäftigungslücke von gegenwärtig immer noch rund 10 Millionen Jobs geführt. Das Ziel der US-Regierung und auch der US-Zentralbank ist es, einen guten Teil dieser Lücke in den kommenden Quartalen wieder zu schliessen. Idealerweise müsste der monatliche Stellenzuwachs im Bereich von gut einer Million neuer Jobs sein. Im Moment ist das «Tempo» aber nur etwa halb so rasch. Der Ausblick bleibt zuversichtlich und die Märkte rechnen mit einer ersten Normalisierung der US-Leitzinsen im ersten Halbjahr von 2023. Schon in 2022 dürfte der Aufbau der Notenbankbilanz reduziert werden. Dieses sogenannte «Tapering» ist eines der Hauptthemen für die Marktkommentatoren.
Weltweit betrachtet ist es zwar verfrüht ein Ende der Pandemie zu verkünden, denn nicht mal ein Viertel der Menschen weltweit hatte bisher Zugang zu einer Impfung. Immerhin zeichnet sich aber in vielen Ländern die berechtigte Hoffnung zu einem bald nur noch wenig durch Schutzmassnahmen eingeschränkten Alltag ab.
Wenn die Pandemie aus den Schlagzeilen verschwinden wird, werden neue Themen nachrücken:
Die Frage der Bewältigung der gestiegenen Staatsverschuldung und die Rückkehr zur Einhaltung der staatlichen Haushaltsdisziplin wird in der EU zu Diskussionen führen. Auch die Frage, ob die Investitionen aus den gemeinschaftlich finanzierten Krediten an beispielsweise Italien oder Spanien erfolgreich waren, wird genau beobachtet werden. Auch die angestrebte Reduktion des weltweiten C02-Ausstosses erreicht die realpolitische Debatte, in der um die konkrete Verteilung der finanziellen Lasten auf Unternehmen und Privathaushalte gerungen wird.
Aber auch die geostrategischen Auseinandersetzungen nehmen zu. Es scheint, dass Joe Biden den Schulterschluss mit der EU sucht, um eine Position des «Westens» gegenüber Russland und China wirkungsvoller vertreten zu können. Die Spannungen mit Weissrussland und die Spekulationen einer Vereinigung mit Russland, zeigen auf, dass selbst im 21. Jahrhundert Diktatoren wie Lukashenko, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen, keine Skrupel haben, auch mit Gewalt und Willkür ihre Ziele zu verfolgen.
Auch die Befürchtung nimmt zu, dass China sich zu einer noch autoritäreren Diktatur entwickelt. Die Meinungsvielfalt und die freie politische Willensbildung werden mit allen (technologischen) Mitteln durch einen übermächtigen Staat bekämpft. Gegenwärtig stehen die Zeichen auf eine wachsende Tendenz zur Konfrontation mit dem Westen. Es ist Ausdruck dieses Trends, dass in China jeder Versuch einer kollektiven Erinnerung an den Gewaltausbruch während der Studentenproteste auf dem Tian'anmen Platz am 3. und 4. Juni 1989 drastisch sanktioniert wird.
Für nachhaltige Anleger ist nebst der CO2-Bilanz der Umgang mit Kapitalanlagen in chinesische Unternehmen eine Frage, die kontrovers diskutiert, manchmal aber auch sehr gerne verdrängt wird. Wir erwarten, dass dieses Thema durch die kommenden politischen Entwicklungen noch unbequemer und kontroverser wird. In unseren eigenen nachhaltigen Anlageprodukten wird eine Nachhaltigkeitsanalyse durchgeführt, so dass nicht undifferenziert in Aktien und Anleihen chinesischer Unternehmen investiert wird. Auf einen generischen Ausschluss chinesischer Aktien haben wir bisher jedoch verzichtet. Wir führen mit unseren Kundinnen und Kunden, die eine nachhaltige Anlageform fordern – es werden immer mehr – auch zu diesem komplexen Thema einen transparenten Dialog.
Die Aktienmärkte eröffnen heute in der Schweiz und in Europa wenig verändert. Der SMI ist heute praktisch unverändert.
Im Mai hat der Schweizer Aktienindex SPI fast 4% zugelegt und hat damit neue Allzeithochs erreicht. Auch die europäischen Aktienindices haben, in CHF bewertet, mehr als 3% an Wert gewonnen. Die in unserer Anlagestrategie umgesetzte Übergewichtung war damit seit Jahresanfang insgesamt recht erfolgreich.
Aufgrund der robusten Konjunkturaussichten sind weitere Kursgewinne an den Aktienmärkten möglich. Wir halten in unserer Anlagestrategie – vorerst noch – an unserer taktischen Übergewichtung von Aktien fest. Eine partielle Gewinnmitnahme und eine Reduktion des Aktienübergewichts wirken aufgrund steigender Bewertungen und des weitverbreiteten Optimismus aber zunehmend attraktiv. (Stand ca. 12:15, 7.6.2021 Basel Zeit)