CIO Kommentar, Montag, 10. Mai 2021
Viele Konjunkturindikatoren die über die vergangenen Wochen publiziert wurden, befinden sich auf sehr hohem Niveau. Einige davon stehen sogar auf einem Allzeithoch. Beispielsweise gilt dies für das KOF-Konjunkturbarometer der ETH zu den Aussichten für die Schweizer Wirtschaft. Aber auch die Exporte der deutschen Wirtschaft haben im März kräftig wie nie zuvor zugelegt. Trotz all diesem Optimismus darf nicht vergessen werden, dass in einigen Branchen die Pandemie wohl zu permanentem Wandel geführt hat. Die Fluggesellschaften werden nahhaltig weniger Business Class Passagiere befördern, weil der Einsatz von Videokonferenzen sich durch die Pandemie als Alternative zu Flugreisen durchsetzen konnte. Auch die zwangsläufig gestiegene Beliebtheit des Online Shoppings dürfte zumindest teilweise Bestand haben. Dies könnte zu einem strukturellen Wandel bei Verkaufsflächen in den Innenstädten führen.
Insgesamt spricht derzeit vieles dafür, dass das Wirtschaftswachstum im zweiten Halbjahr in Europa und den USA kräftig anzieht. Der Start ins zweite Halbjahr gleicht also, was die Konjunktur betrifft, einem Katapultstart von einem Flugzeugträger aus. Nicht dass ich einen solchen Start aus eigener Erfahrung kennen würde, aber man kann sich vielleicht vorstellen, wie sich das anfühlen könnte. Vermutlich etwa so, wie wenn die Hypothekarzinsen wieder auf über 4% steigen würden. Tatsächlich bei derart starken Konjunkturaussichten, kommt unweigerlich die Frage auf, ob die Billionen an Hilfsmassnahmen, insbesondere in den USA, übertrieben sein könnten. Müssten jetzt nicht Inflation und Zinsen steigen? Bei den Rohstoffpreisen erreicht das Industriemetall Kupfer mit einem Preis von deutlich über 10'000 USD pro Tonne einen neuen Rekordpreis. Es gilt also die Kabelrollen im Industrieareal wieder besser vor Dieben zu schützen. Hingegen ist beim Gold, als klassische Schutzanlage gegen Inflation, noch keine Euphorie zu sehen.
Die am 7. Mai veröffentlichten US-Arbeitsmarktzahlen für den Monat April wurden auch mit Hinblick auf die Auswirkungen auf die Inflationserwartungen mit ausserordentlich viel Spannung erwartet. Es war im Vorfeld klar, dass eine unerwartete und extrem rasche Erholung des US-Arbeitsmarktes sowohl Joe Biden, als auch den US-Notenbank Chef Gerome Powell, unter Druck setzen würden. Ihre Gegner werfen Ihnen vor, dass sie deutlich übertrieben haben und dass sie die Pandemie als Vorwand benutzt haben, um extreme Massnahmen aus politischen Gründen umzusetzen.
Am Ende gab es aber viele lange Gesichter. Dies weil die Prognose eine der schlechtesten in der Geschichte der monatlichen US-Arbeitsmarktzahlen («non-farm payrolls») war. Entgegen den Erwartungen ist die US-Arbeitslosenrate für April gegenüber dem Vormonat sogar leicht angestiegen. Auch die im April neu geschaffenen Stellen blieben sehr deutlich unter den Erwartungen.
Joe Biden und Gerome Powell können ihre Politik vorerst also bestätigt fortsetzen. Ein vorübergehender (transienter) Anstieg der Inflation wird zwar erwartet, aber ein spektakulärer «Katapultstart» in eine neue und höhere Zinslandschaft bleibt vorerst unwahrscheinlich. Die Diskussion um ein frühzeitiges Anziehen der geldpolitischen Schraube ist vorerst beendet. Allerdings wird diese Debatte zur US-Geldpolitik schon Anfang Juni, wenn die Arbeitsmarktzahlen für Mai publiziert werden, wieder erneut beginnen.
Diese Woche werden auch die neuesten Inflationsdaten aus China, Indien und Brasilien aufzeigen, wie sich die «Inflationswelle» im April weiterentwickelt hat.
Die Aktienmärkte eröffnen heute in der Schweiz und in Europa uneinheitlich aber wenig verändert. Der SMI gewinnt aktuell etwa 0,4%. Auch für den US-Aktienmarkt wird mit einer wenig veränderten Eröffnung gerechnet.
Der Schweizer Aktienmarkt befindet sich gegenwärtig auf den Niveaus von Anfang April. Der SPI-Index konnte dieses Jahr bis zum 7. Mai etwa 7,5% zulegen. Wir erwarten, dass die starken Konjunkturaussichten für weitere Kursgewinne an den Aktienmärkten sorgen werden.
Obwohl die US-Notenbank erneut vor den gestiegenen Bewertungen bei Aktien gewarnt hat, halten wir in unserer Anlagestrategie - vorerst noch - an unserer deutlichen taktischen Übergewichtung von Aktien fest. (Stand ca. 10:15 10.5.2021 Basel Zeit)