CIO Kommentar, Montag, 11. April 2022
Sieben Wochen nach dem Überfall Russlands, leistet die ukrainische Armee nach wie vor erbitterten und koordinierten Widerstand. Die Verluste an Soldaten und Kriegsgerät auf russischer Seite sind unerwartet hoch in ihrem Ausmass. Dass die russischen Verbände aus dem Norden und Osten Kiews zurückgedrängt wurden, kann als Erfolg gewertet werden.
Allerdings stellt sich die Frage, wie lange die Ukraine dem pausenlosen Beschuss seiner Städte im Süden und Osten standhalten kann, dort wo man schon bald eine neue intensive russische Offensive erwartet.
Die Gräueltaten in den Vororten Kiews an hunderten von ukrainischen Zivilpersonen und der Angriff auf den Bahnhof von Kramatorsk werden durch den internationalen Gerichtshof und andere Organisationen untersucht und dokumentiert. Die kaum zu bestreitenden mutmasslichen Verbrechen der russischen Armee haben zur Annahme einer Resolution in der UN-Generalversammlung geführt. Diese suspendiert Russland als Mitglied des Menschenrechtsrates.
Unter den 93 Ländern die für den Ausschluss Russlands stimmten, findet sich auch die Schweiz. China hat zu den 24 Nein Stimmen beigetragen und 58 Länder haben sich der Stimme enthalten.
Obwohl die Annahme der Resolution nicht unmittelbar höheren Druck auf Russland ausüben wird, ist der Entscheid dennoch symbolisch wichtig. Er signalisiert die Entschlossenheit, die rechtlichen Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft zu mobilisieren, um alle Verantwortlichen der Kriegsverbrechen in der Ukraine zur Verantwortung zu ziehen.
Es dauerte beispielsweise 25 Jahre bevor Ratko Mladic für Genozid und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Den Haag zu einer lebenslangen Haft verurteilt wurde.
Dies zeigt auf, wie wichtig es ist, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch über Jahrzehnte untersucht, dokumentiert, verfolgt und schliesslich bestraft werden.
Die UN-Resolution vom 7. April bekräftigt, dass es für Putin und seine Regierungsmitglieder keine Normalisierung oder gar Rückkehr zur internationalen Gemeinschaft legitimer Staatsvertreter geben wird. Es ist durchaus denkbar, dass die Untersuchungen zu Anklagen gegen russische Armee- und Staatsvertreter führen werden.
Mit immer schärferen wirtschaftlichen Sanktionen hat der Westen die russische Wirtschaft zwar unter erheblichen Druck gesetzt. Der Rubel hat sich nach einem anfänglichen Kurssturz aber derzeit weitgehend erholt. Allerdings zum Preis von 20% Leitzinsen und einem drakonischen Kapitalausfuhr Verbot.
Man mag zurecht bezweifeln, ob die Sanktionen für den Ausgang des Krieges wesentlich sein werden und ob noch härtere Sanktionen (EU Gas und Öl Embargo) dies ändern könnten.
Die russische Wirtschaft und die russische Bevölkerung werden dennoch unter den Sanktionen mittelfristig erheblich leiden. Falls der Westen verhindern will, dass Russland einen zermürbenden, äusserst brutalen und langen Krieg am Ende gewinnt, dann muss die Ukraine in die Lage versetzt werden, mehr als einen taktischen Widerstandskrieg zu führen.
Die politisch motivierte Unterscheidung zwischen «defensiven» und «offensiven» Waffensystemen ist immer weniger haltbar.
Wenn der Westen die Worte des deutschen Bundeskanzlers Scholz «Russland darf den Krieg nicht gewinnen» mit zielführenden Taten untermauern will, muss Ukraine die geforderten Waffenlieferungen soweit wie realisierbar erhalten.
Es ist möglich, dass die kommenden Tage und Wochen schicksalshaft für die Ukraine und die sich daraus ergebende neue Sicherheitslage in Europa sein könnten.
In der ersten Wahlrunde für die französischen Präsidentschaftswahlen erreicht der amtierende Präsident Macron mit 27.6% einen Vorsprung von 4.2 Prozentpunkten gegenüber Le Pen.
Die Stichwahl am 24. April könnte gemäss aktueller Wahlumfragen mit nur einzelnen Prozentpunkten zugunsten von Macron entschieden werden.
Der Wahlkampf in den nächsten Wochen und insbesondere die Fernsehdebatte am Mittwoch 20. April dürfte, wie schon bei den letzten Wahlen im 2017, eine wichtige Rolle spielen.
Blickt man in die Vergangenheit, dann kam es nur dreimal vor (1974 Giscard d'Estaing, 1981 Mitterrand, 1995 Chirac), dass der Kandidat mit weniger Stimmen im ersten Wahlgang dennoch die Stichwahl für sich entscheiden konnte.
Der Pool an Stimmen (22%) des drittplatzierten linken Kandidaten Melenchon könnte für Macrons Wahlergebnis an der Stichwahl entscheidend sein.
Melenchon hat seine Wählerinnen und Wähler dazu aufgerufen, ihre Stimme nicht für Le Pen abzugeben. Es ist aber nicht klar, ob Macron diese Wählergruppe mobilisieren können wird.
Frankreichs Wirtschaft hat die Pandemie insgesamt recht gut überstanden. Im vierten Quartal 2021 lag die Wirtschaftsleistung bereits 1% über dem Vorpandemieniveau des vierten Quartals 2019.
Zum Vergleich: Deutschlands Wirtschaft lag im vierten Quartal 21 noch 1% unter dem vierten Quartal 19.
Die Aktienmärkte eröffnen in Europa heute wenig verändert. Der französische Aktienmarkt liegt nach anfänglicher Volatilität derzeit mit 0.25% im Plus.
Auch für die US-Aktienmärkte wird heute eine wenig veränderte, allenfalls leicht negative, Eröffnung erwartet.
Das Geschehen an den Finanzmärkten wird derzeit von einigen zentralen Entwicklungen bestimmt:
Bis auf den Inflationsdruck sind die anderen drei Schocks bisher regional begrenzt.
Die US-Wirtschaft bleibt in guter Verfassung und könnte den Anstieg der Leitzinsen um gut 2% verkraften.
Der Krieg in der Ukraine und die sich daraus ergebenden Sanktionen haben für Russland einschneidende wirtschaftliche Konsequenzen. Aufgrund der – global betrachtet – geringen Grösse der russischen Volkswirtschaft, hat die sich abzeichnende tiefe Rezession in Russland, bis auf den Einfluss auf die Rohstoffpreise, keine signifikante Bedeutung für die Weltwirtschaft als Ganzes.
Die angespannte pandemische Lage hat für die Binnennachfrage in China zwar negative Auswirkungen. Dies scheint aber bisher auf die internationalen Wirtschaftsströme keinen grossen Einfluss zu haben.
Trotz Krieg, Pandemie und Inflation bleiben die Finanzmärkte erstaunlich stabil. Vielleicht lässt sich dies mit dem regional begrenzten Charakter obiger Entwicklungen erklären.
Für eine weiter anhaltende Stabilität der Finanzmärkte ist es wichtig, dass die obigen Entwicklungen nicht zu einer allgemeinen Eintrübung im Konsumverhalten und bei den Investitionen der Unternehmen führen.
Der Zinsanstieg in den USA und die Erwartung einer moderaten Normalisierung der Zinsen in der Eurozone gegen Ende dieses Jahres, hat die 10-Jahres CHF Swap-Sätze und somit die Zinsbasis für langlaufende Festhypotheken ansteigen lassen. Die 10-Jahres Swap Sätze befinden sich auf einem 8-Jahres hoch.
Die Erwartung ist, dass dieser Anstieg der CHF Zinsen am langen Ende der Zinskurse seinen Höhepunkt bald erreichen könnte. Trotz hoher Inflationszahlen, überwiegt im Markt die Erwartung, dass die Inflationsindikatoren in den nächsten Quartalen langsam wieder abklingen sollten (Stand ca. 11:30 Uhr, 11.4.2022, Basel Zeit).