CIO Kommentar, Montag, 14. Dezember 2020
Am kommenden Mittwoch beginnt in Deutschland ein erneuter harter Lockdown, mit Massnahmen die noch weitreichender sind als jene im Frühling. Die Massnahmen sollen bis mindestens zum 10. Januar in Kraft bleiben. Der Anstieg der Infektionszahlen und die starke Belastung der Spitäler haben zu diesem Schritt geführt. Aus Sicht der Bundeskanzlerin gerät das Infektionsgeschehen bei wieder deutlich steigenden Zahlen mehr und mehr ausser Kontrolle. Sie weist auch auf die inakzeptable hohe Zahl von Todesopfern hin, welche die Pandemie täglich fordert. Die bisherigen milderen Massnahmen konnten nicht verhindern, dass in Deutschland in den letzten Tagen 500 oder mehr Menschen pro Tag in Zusammenhang mit dem Virus starben.
In der Schweiz wollen Bund und Kantone weiterhin einen harten Lockdown mit Ausgangsbeschränkungen vermeiden. Dies obwohl mehrere Spitaldirektoren an den Bundesrat appellieren, jetzt zu handeln, um eine Überlastung der Spitäler im Januar noch abzuwenden. Gegenwärtig sind die Spitäler insgesamt zwar noch nicht überlastet, jedoch nah an ihren Kapazitätsgrenzen. Eine laufend aktualisierte Übersicht der Kapazitätsauslastung von Intensivpflegebetten wird von der ETH auf der Webseite angeboten.
Die Inzidenzzahl für die Schweiz ist dabei mit deutlich über 300 Fällen (pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche) doppelt so hoch wie der deutsche Wert. Im Bundesland Sachsen hat die hohe Inzidenzzahl von 379 - also etwa auf gegenwärtigem Schweizer Niveau - zum sofortigen Lockdown schon ab heute Montag geführt. Die kommenden Feiertage verheissen nichts Gutes. In Kanada und in den USA sind nach dem Thanksgiving Feiertag am 26. November die Infektionen und Opferzahlen auf neue Höchstwerte angestiegen. In Anbetracht der Tatsache, dass noch mehrere Monate notwendig sein werden, bis Impfungen das Infektionsgeschehen dämpfen werden, könnte auch in der Schweiz ein harter Lockdown schon sehr bald unvermeidlich sein.
Die finanziellen Auswirkungen für Bund und Kantone sind bisher gravierend aber nicht dramatisch. Im internationalen Vergleich ist die Wirtschaftsleistung der Schweiz in den ersten drei Quartalen dieses Jahres nur 2% tiefer als in den drei Quartalen des Vorjahres 2019. Die sehr starke Erholung der Schweizer Wirtschaft im dritten Quartal, auch aufgrund der weitreichenden Lockerungen der Pandemie Massnahmen im Sommer, hat wesentlich dazu beigetragen.
Aber nicht nur die Einbrüche der BIP-Zahlen waren in der Schweiz vergleichsweise gering, auch die fiskalischen Hilfsmassnahmen der Regierungen in vielen Ländern der Welt waren umfangreicher als jene der Schweiz. Man schätzt, dass weltweit etwa 12% des globalen BIPs in Form von Stützungsmassnahmen aus Staatskassen verwendet wurde. Die Zunahme der oft schon hohen Staatsverschuldung um weitere 5% bis 20% des BIP ist für viele Staaten die direkte Folge der Pandemie. Rechnet man für die Schweiz mit Kosten für Bund und Kantone von bisher 35 Milliarden CHF, dann entspricht dies einer im internationalen Vergleich eher moderaten Ausgabe von etwa 5% des Schweizer BIP (ca. 700 Milliarden CHF). Dabei hat die Schweiz mit 40% des BIP (also 40% von ca. 700 Milliarden, gemäss IWF, Brutto-Verschuldung von Bund, Gemeinden und Kantonen) eine der tiefsten Staatsverschuldungen unter den wichtigen Industrienationen der Welt.
Die Frage ob diese Notausgaben der Staaten finanzierbar seien, wird je nach politischer Ausrichtung der Befragten unterschiedlich beantwortet. Die vielbeschworene Vermeidung der Schaffung eines Gegensatzes zwischen dem Wert von Leben und der finanzpolitischen Tugend einer tiefen Staatsverschuldung, ist in den letzten Monaten misslungen. Die Opferzahl welche die Pandemie bis zum Ausrollen der Impfung noch fordern wird, kann verringert werden. Aber nur dann, wenn man bereit ist, die notwendigen staatlichen Stützungsmassnahmen zu finanzieren. Die Vermeidung von Todesopfern und der Überlastung von Spitälern ist keine Frage des Schicksals, sondern eine Frage des (finanz-) politischen Willens. Zumindest gilt dies für handlungsfähige reiche Staaten mit geringer Staatsverschuldung und eigener stabiler Währung mit tiefer Zinslast.
Da in der öffentlichen Debatte kaum ernsthaft über die Kriterien diskutiert wird, welche die Tragbarkeit der Staatsverschuldung bestimmen, wiederhole ich an dieser Stelle die nachfolgende Argumentation (vgl. AM Flash vom 30. Oktober): Wie rasch eine Pandemie bedingte Neuverschuldung später abgebaut werden kann, hängt davon ab, wie hoch das nominale Wachstum des BIP einer Volkswirtschaft im Vergleich zu den anfallenden nominalen Schuldzinsen ist. Die Schweiz hatte in den letzten Jahren vor der Pandemie ein nominales BIP-Wachstum in der Grössenordnung von gut 2%. Die Schuldzinsen des Bundes sind derzeit sogar für Laufzeiten von 30 Jahren negativ. Rechnet man konservativ mit einer positiven Differenz von 2% des nominalen BIP-Wachstums über dem Niveau der Schuldzinsen, dann ist die Erhöhung der Staatsverschuldung um 5% des BIP bis Ende 2025 wieder abgebaut, d.h. die relative Staatsverschuldung von Bund und Kantonen als Prozentsatz des BIP liegt dann wieder auf dem Niveau vor der Pandemie per Ende 2019.
Angstmacherei vor den fiskalischen Konsequenzen der Pandemie ist für Länder mit moderater Staatsverschuldung, die ihre Zusatzverschuldung langfristig mit sehr tiefen oder gar negativen Zinsen finanzieren können, nicht rational begründbar. Hingegen sind deflationäre Tendenzen die durch fehlgeleitete Sparpolitik und wenig durchdachten «Corona-Steuern» begünstigt werden und sich durch fallende Konsumausgaben und Löhne manifestieren, eine reale Bedrohung, besonders für jene Länder mit hoher Staatsverschuldung bei tiefem Wachstum und höheren Zinsen zur Finanzierung der Staatsverschuldung. Ein unreflektierter Vergleich eines Staatshaushaltes mit einem privaten Haushalt ist dabei nicht nur falsch, sondern auch gefährlich irreführend.
Auch das Treffen zwischen der Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen und dem Britischen Premierminister Boris Johnson konnte kein Brexit Deal erreichen. Die Verhandlungen sollen dennoch für einen letzten Versuch fortgesetzt werden, eine Einigung scheint derzeit aber unwahrscheinlich. Weder die Briten noch die EU scheinen das Ende der Verhandlungen verkünden zu wollen, dies um dabei keine Verantwortung für ihr Scheitern zu übernehmen. Die unmittelbaren Auswirkungen des Auslaufens der Übergangsfrist am 31. Dezember für Logistik und Handel sind unklar. Mit Verzögerungen und Konfusion an der Zollabfertigung muss aber gerechnet werden. Die kurzfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen dürften vor allem für die Briten deutlich wahrnehmbar sein. Die schwache Währung, die höheren Importpreise und ein Rückgang der Exporte werden Spuren in der Britischen Wirtschaft hinterlassen. Inwiefern, dass London unangefochten der wichtigste Europäische Finanzplatz bleibt, wird erst in einigen Jahren erkennbar, die Chancen dafür stehen aber gut.
Der heute, nach dem deutschen Lockdown, überraschend gutartige Verlauf der Aktienmärkte drückt die Zuversicht aus, dass eine Erholung der Wirtschaft im nächsten Jahr durchaus plausibel ist. Im US-Kongress wird derzeit über ein weiteres Hilfspaket von 900 Milliarden USD (ca. 4.5 % der US-BIP) debattiert. Die heutige offizielle Bestätigung von Joe Biden durch das US-Wahlkollegium trägt dazu bei, die aussichtslose Polemik um die US-Wahlen zu beenden. Der SMI-Index ist gegenwärtig wenig verändert. Der deutsche DAX-Aktienindex gewinnt aktuell gut 1% und auch andere europäische Aktienindices liegen im positiven Bereich. Auch in den USA wird heute eine positive Eröffnung erwartet.