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Marktausblick

Rohöl zum Preis von Giftmüll – Houston hat ein Problem – Aktiemärkte verunsichert

CIO Kommentar, Dienstag, 21. April 2020

Dr. Sandro Merino, Chief Investment Officer

Gestern Abend gegen 20 Uhr (Basel Zeit) wurde eine kleine Episode der Wirtschaftsgeschichte geschrieben. Der Terminkontrakt per 20. Mai für Rohöl der Sorte West Texas Intermediate (WTI) handelte plötzlich zum Preis von etwa -40 USD pro Fass. Sie reiben sich ungläubig die Augen? Nein, kein Tippfehler, Minus 40 USD pro Fass und somit zum ersten Mal in der Geschichte dieser Märkte negativ.

Das bedeutet, dass sie mit dem Kauf eines Kontraktes des WTI Future eine Lieferung von 1000 Fass WTI-Rohöl erwerben und dafür zusätzlich noch ca. 40'000 USD ausbezahlt erhalten. Diese Menge Rohöl füllt einen Swimming-Pool mit der Fläche von etwa einem halben Tennisplatz. Leider gilt dieses Angebot nur theoretisch und ich kann Ihnen diese Transaktion weder empfehlen noch anbieten. Die Lager für Rohöl sind brechend voll und niemand der die notwendigen Bewilligungen und die notwendige Infrastruktur besitzt, kann derzeit Öl für sie lagern. Der Preis des Kontraktes hat sich inzwischen auf -2 USD pro Fass erholt, er bleibt aber negativ.

Dass ein grenzenloses freies Spiel der Märkte und ein konsequenter Kapitalismus den Weg ins Paradies ebnet, ist ein Märchen das nur noch sehr wenige Ökonomen und Politiker für uneingeschränkt wahr halten. An dieses Märchen glaubte die Railroad Commission of Texas (RRC) für lange Zeit. Der Name ist historisch begründet und die RRC hat heute vor allem die Rolle als Regulator für die Texanische Ölindustrie, die immerhin 40% der US Produktion liefert, was etwa 5% des globalen Rohölangebots darstellt. Dieser perfekte Sturm entstand weil Russland und Saudi-Arabien schon vor der Corona Pandemie die Produktion hochgefahren haben und die Corona Pandemie die Nachfrage nach Öl und Gas zusätzlich stark einbrechen liess. Houston hat ein grosses Problem, weil das teuer aus dem Boden gepumpte Rohöl jetzt zum Preis von Giftmüll handelt, was bedeutet, dass man wie bei Giftmüll bezahlen muss um es zu liefern. Allein in Texas stehen 350'000 Arbeitsplätze im fossilen Energiesektor auf dem Spiel und zweistellige Milliardenbeiträge an Steuern und Abgaben pro Jahr. Auch die US-Wirtschaft als Ganzes hat in den letzten 10 Jahren mit riesigen Investitionen in fossile Energien etwa 7% der US-Wirtschaftsleistung vom Preis von Öl und Gas abhängig gemacht. Möglicherweise ein strategischer Fehler, im Lichte der an Fahrt gewinnenden Wende zu erneuerbaren Energien, bei der China, wer sonst, weltweit führend ist.

Dass der Chairman der RRC Wayne Christian in seinem Artikel aus dem April 2018 behauptet, die Wissenschaft sei sich weiterhin uneinig, ob fossile Energieträger den Klimawandel wirklich verursachen, ist nicht mehr als moderat und irgendwie sympathisch vorgetragener Populismus. Dabei ist es aber wohl so, dass wer eine Einschätzung des RRC zum Klimawandel ernst nimmt, meistens auch an den Osterhasen oder abstruse Verschwörungstheorien glaubt. Zum Artikel des RRC Chairmans zum Klimawandel.

Alle Lager sind voll und die USA wollen die Strategischen Reserven jetzt nicht aufstocken. Warum eigentlich nicht, wenn man fürs Aufstocken nicht bezahlt, sondern inzwischen dafür bezahlt wird? Nach Negativzinsen also auch «Negativ-Öl». Die RRC war offenbar bisher strikt gegen Produktionsbeschränkungen, die gemeinsam mit nationalen und internationalen Konkurrenten ausgehandelt, vereinbart und auch eingehalten werden müssten. Fürsprecher für Eingriffe des Staates oder Koordination mit internationalen Organisationen in Texas? Don't mess with Texas war bei dieser Frage wohl das Motto. Sogar das schmutzige Wort einer Steuer auf Öl als Subvention für die US-Ölindustrie ist aus dem Mund des RRC Chairmans Wayne Christian gefallen. Diese Krise dreht wirklich vieles auf den Kopf!Jetzt holt die Realität die RRC ein. Realitätsverlust wird am Ende ja oft mit einer harten Landung zurück in die Realität bestraft. Man kann also gespannt sein, welche Strategien jetzt ausgeheckt werden. Eine Umkehr der US-Ölindustrie zu internationaler Kooperation oder das Gegenteil: Mehr Konfrontation mit Russland und/oder Saudi-Arabien, das ist hier wohl die Frage. Die Vorzeichen stehen aber mit dem Slogan «America First» eher auf Konfrontation. So spielt Donald Trump mit dem Gedanken alle Importe von Öl aus Saudi-Arabien zu stoppen.

Ob eine solche Massnahme nachhaltig wirksam wäre, ist aufgrund der Ölschwemme sehr fraglich. Nur eine international abgestimmte Produktionskontingentierung kann die Frage wie der Kuchen für alle akzeptabel geteilt werden soll, klären. «America first» funktioniert in der Realität also doch nicht so gut wie erhofft, Alleingänge könne sehr teuer werden.Ausserdem will Donald Trump, obwohl die Wirtschaft wieder hochgefahren werden kann, die Einwanderung in die USA mittels Dekret komplett stoppen. Die Landwirtschaft ist geschockt, da ohne ausländische Erntehelfer auch in den USA nicht viel geht in der Landwirtschaft. In den USA dreht sich aktuell eine bedenkliche Spirale der Verunsicherung und von wilden Schuldzuweisungen. Das hilft wenig die Corona Krise zu bewältigen und setzt eine möglichst rasche wirtschaftliche Erholung aufs Spiel. Selbst wenn Geschäfte, beispielsweise im Bundesstaat Georgia, bei steigenden Fallzahlen wieder öffnen, wird ein grosser Teil der Bevölkerung im Wissen um die Bedrohung, kaum zur Normalität zurückkehren. Das wichtige Kapital des sozialen Vertrauens und des Vertrauens in die Institutionen scheint in den USA derzeit sehr knapp zu sein.

Entwicklung an den Aktienmärkten

Am heutigen Montag eröffnen die weltweiten Aktienmärkte negativ. Die Auswirkungen des tiefen Ölpreises auf die Energieunternehmen und den US-Finanzsektor der den Sektor finanziert, ziehen die Märkte nach unten. Die europäischen Aktienmärkte fallen aktuell etwa 2 %. Der Schweizer SMI-Index ist aktuell ebenfalls knapp 2 % im Minus. Für die US-Aktienmärkte wird heute ebenfalls eine moderat negative Entwicklung Eröffnung erwartet. US-Aktien verlieren seit Jahresanfang je nach Index (Dow Jones / Standard % Poors 500) aktuell etwa 13 % bis 17 %, europäische Aktien etwa 25 %, Schweizer Aktien etwa 10 % und chinesische Aktien (CSI 300 Index) etwa 7 % (alle Zahlen per 21.4.2020 ca. 12:00, Basel Zeit, Markbewegungen seit Jahresanfang in CHF bewertet).

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