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Zeit, über Geld zu reden.

Weniger Geld trotz steigender Einkommen – die Inflation trifft nicht alle gleich

Der aktuelle Bank Cler Swiss Income Monitor (BCSIM) zeigt eine positive Entwicklung des Jahres 2019 bezüglich der Einkommen in der Schweiz und ihrer Verteilung in der Gesellschaft auf. So ist das Medianeinkommen in jenem Jahr um rund 600 Franken angestiegen. Bei gleichzeitig stabilen Preisen (Jahresinflation 0,4%) konnte sich eine Person aus der Mitte der Gesellschaft real spürbar mehr leisten – zum Beispiel eine neue Apple Watch 5, welche 579 CHF kostete und 2018 noch nicht ins Budget gepasst hätte. Damit ist das mittlere Einkommen in der Schweiz 2019 stärker gestiegen als im langjährigen Durchschnitt. Gleichzeitig hat sich die Verteilung der Einkommen in der Gesellschaft, wie schon in den Jahren zuvor, kaum geändert, wie der BCSIM anhand zahlreicher Kennzahlen belegt. Alle Einkommensklassen konnten von dem realen Einkommenszuwachs profitieren.

Inflation ändert die Sicht auf Einkommenszuwächse

Im Bank Cler Swiss Income Monitor werden die Daten von 2019 analysiert. Es sind die aktuellsten Daten, die derzeit von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) zur Verfügung stehen. Ein Einkommenszuwachs im Jahr 2019 bedeutet jedoch etwas ganz anderes als der entsprechende Einkommenszuwachs 2022. Warum? Weil die Inflation einen wichtigen Einfluss auf die Kaufkraft hat. Wenn Produkte im Schnitt um 3% teurer werden, das Einkommen aber nur um 1,5% steigt, hat ein Haushalt de facto weniger Geld für seine Ausgaben zur Verfügung. Liegt die Inflation bei 0,5% bleibt noch Geld übrig, das man entweder ausgeben oder auch ansparen kann. Mit der Rückkehr der Inflation im Jahr 2022 ist es Zeit, über Geld zu reden – insbesondere auch wieder über den «Preis» des Geldes. Mit einer Inflation im Gesamtjahr 2022 von 2,8% muss ein Medianeinkommen von 53 600 CHF allein um 1 500 CHF zunehmen, um real die gleichen Konsummöglichkeiten zu bieten. Während sich mit 600 CHF mehr im Jahr 2019 die reale Situation des Medianhaushalts also klar verbessert hat, wäre dies 2022 ein deutlicher Rückschritt gewesen.

Inflation ist nicht homogen

Und dies ist erst die halbe Wahrheit. Denn hinter einer Inflation von durchschnittlich 2,8% stecken sehr unterschiedliche Preisentwicklungen für verschiedene Güter. Die stärkste Teuerung war im Bereich Energie zu verzeichnen (2022 +23% gegenüber 2021) sowie bei Pauschalreisen (+11%) und Automobilen (+10%)1. Ebenfalls wichtig ist die Entwicklung der Mieten. Zwar beträgt die Teuerung hier 2022 nur 1,4%, aber durch die hohe Bedeutung der Mietkosten innerhalb des typischen Haushaltbudgets trägt allein dieser Posten 0,3 Prozentpunkte zur Jahresinflation bei. Abgesehen von den oben genannten Kategorien, ist dies einer der höchsten einzelnen Beiträge zur Inflation 2022.

Inflation kann unterschiedlich wahrgenommen werden

Dies ist auch für die Diskussion der Einkommensverteilung relevant. Denn nicht bei allen Haushalten setzen sich die Ausgaben gleich zusammen. Steigen die Preise von Gütern oder Dienstleistungen, von denen ein Haushalt überdurchschnittlich viel kauft, stärker an als die Preise der Güter und Dienstleistungen, die für den Haushalt eine geringere Rolle spielen, liegt die individuelle Inflationsrate höher als die Inflation der Schweiz insgesamt. Nun geben Haushalte im unteren Bereich der Einkommensverteilung einen überdurchschnittlich grossen Anteil ihres Einkommens für Wohnen und Energie aus. Weniger klar ist dies bei den anderen Bereichen mit starken Preissteigerungen, wie Automobile und Reisen. Zwar ist Mobilität ein essenzielles Bedürfnis auch für einkommensschwächere Haushalte, aber vor allem Reisen spielen für Haushalte mit höherem Einkommen eine überdurchschnittlich hohe Rolle.

Personen im unteren Einkommensbereich spüren die Inflation nicht nur stärker, da sie bei ihren Ausgaben weniger Spielraum haben und oft über weniger Rücklagen verfügen, sondern sie sehen sich - je nach Umständen - einer höheren individuellen Inflation gegenüber.

Haushalte spüren die Belastung der Inflation unterschiedlich

Dies ist nicht nur eine theoretische Überlegung. Bestätigung aus der Sicht der Betroffenen zeigt beispielsweise die Befragung der Bank Cler zur Wahrnehmung der Inflation in der Schweiz, welche im November 2022 veröffentlicht wurde. Je kleiner das Haushaltseinkommen ist, desto mehr Massnahmen wurden im Schnitt getroffen. Und umso einschneidender sind die getroffenen Massnahmen. Einkommensschwache Haushalte (< 4 000 CHF) reagierten mit dem Verzicht auf grössere Anschaffungen und häufig auch auf Freizeitaktivitäten. Wenn sie nicht verzichteten, reduzierten sie die Ausgaben für Freizeitaktivitäten zumindest, wie sie auch die Ausgaben für Güter des täglichen Bedarfs bereits zurückgeschraubt haben. Die Haushalte mit mittleren Einkommen verzichteten ebenfalls auf grössere Anschaffungen. Sie konnten den Kaufkraftverlust aber vor allem durch reduzierte Ausgaben für Freizeitaktivitäten kompensieren und durch weniger Rücklagen auf dem Sparkonto. Noch weniger einschneidend fallen die bisherigen Anpassungen an die höhere Inflation in den hohen Einkommensklassen aus (> 8 000 CHF). Verzicht ist bisher weniger ein Thema, allerdings wurden auch hier die Ausgaben an verschiedenen Stellen reduziert. Zwar gelten diese Aussagen nur tendenziell und im Schnitt der jeweiligen Gruppen, jedoch weisen sie ebenfalls klar in die Richtung, dass die Inflation einkommensschwächere Gruppen härter trifft: Haushalte mit tiefen Einkommen reagieren deutlich häufiger mit einem Verzicht, während die Haushalte mit höheren Einkommen die Ausgaben «nur» reduzieren müssen. Dass die Inflation jedoch alle betrifft, zeigt sich auch nochmals daran, was die Haushalte für die Zukunft erwarten: In allen Einkommensklassen erwarten die Haushalte, dass sie bei weiter steigender Inflation nicht um zusätzliche Ausgabenreduktionen oder gar vollständigen Verzicht auf gewisse Ausgaben herumkommen werden.

Auch in der Diskussion um die Einkommensverteilung ist die Inflation relevant

Wenn zukünftige Analysen des BCSIM zeigen werden, dass sich trotz der Inflation 2023 die Einkommensverteilung in der Schweiz nicht geändert haben sollte, sind durchaus weitere Aspekte zu berücksichtigen. Interessiert man sich für die reale Verteilung der Einkommen, also nicht für den Vergleich der Einkommen in Franken, sondern in den tatsächlich mit diesem Einkommen eröffneten Konsummöglichkeiten, so muss man die Auswirkungen der Inflation mitberücksichtigen. Womöglich steigt das Einkommen in Franken prozentual in der Unterschicht gleich stark an wie in der Mittel- oder Oberschicht, die betroffenen Haushalte können sich aber wegen der stärker steigenden Preise real weniger leisten, während in höheren Einkommensklassen die reale Kaufkraft erhalten bleibt.

Diese Überlegung ist im Moment natürlich noch völlig fiktiv. Erst genaue Daten können zu einem späteren Zeitpunkt zeigen, was wirklich passiert ist. Die Überlegung zeigt jedoch, dass mit der Rückkehr der Inflation auch bei Fragen zur Einkommensverteilung die Differenzierung zwischen nominalen und realen Betrachtungen wieder bedeutender wird.



1 Vergleiche auf Basis des LIK Schweiz mit dem Detailierungsgrad auf Level 3. Bei Verwendung noch tieferer Detailierungsgrade lassen sich noch höhere Teuerungsraten finden. Automobile: Kategorie Automobile, Motor- und Fahrräder, einschliesslich deren Nutzung.

So haben sich die Schweizer Haushaltseinkommen entwickelt

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