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Zeit, über Geld zu reden.

Der Einfluss der Inflation auf die Einkommensverteilung

Seit über einem Jahrzehnt waren hohe Preissteigerungen in der Schweiz und in vielen anderen Industrieländern kein grosses Thema mehr. Im Jahr 2021 haben wir eine Rückkehr der Inflation erlebt. Nun stellen sich wichtige Fragen zu den Auswirkungen. Hierzu gehört auch, wie die Einkommensverteilung davon beeinflusst wird.

Die Rückkehr einer alten Bekannten

Nach mehr als einem Jahrzehnt hat das Jahr 2021 einen für die Industrieländer überraschenden Inflationsschub mit sich gebracht. Preissteigerungen im hohen einstelligen Prozentbereich waren bis vor kurzem noch kaum vorstellbar, sind nun aber Realität geworden. Unabhängig davon, ob es sich um ein kurzfristiges oder länger anhaltendes Phänomen handelt, zeigt dies klar, dass wir – anders als teilweise postuliert wurde – nicht davon ausgehen dürfen, dass die Inflation dauerhaft verschwunden ist. Selbst wenn es sich im Moment um einen temporären Effekt handelt, spricht nicht zuletzt die seit langem sehr expansive Geldpolitik dafür, dass wir mittelfristig wieder mit Inflation rechnen müssen. Für den Bank Cler Swiss Income Monitor stellt sich daher die Frage, ob und wie sich eine neue aufgeflammte Inflation auf die Einkommensverteilung auswirken könnte.

Warum die Einkommensverteilung betroffen ist

Eine Inflation wird aus vielen Gründen als wirtschaftlich schlecht angesehen. Zu nennen sind hier beispielsweise die Anpassungskosten an ein neues Preisniveau oder auch die mit einer Inflation verbundene Unsicherheit. Würden alle Preise, also inklusive Löhne und Einkommen sowie der Wert von Vermögensgegenständen, gleichmässig und gleichzeitig ansteigen, ergeben sich dadurch allerdings wenig wirtschaftliche Verwerfungen. Insbesondere wäre die Einkommensverteilung von einer solchen gleichförmigen Inflation nicht betroffen. Dies ist jedoch nicht realistisch. Gerade ein überraschender Inflationsschub wie derzeit verteilt sich nicht gleichmässig auf alle Preise – so passen sich verschiedene Einkommensbestandteile (Löhne, Renten, erhaltene Alimente sowie Kapital- und Mieterträge) ebenfalls unterschiedlich schnell an das neue Preisniveau an. Dadurch ergeben sich Auswirkungen auf die Einkommensverteilung.
Aus diesen Überlegungen lässt sich eine wichtige Schlussfolgerung für die Wechselwirkung zwischen Inflation und Einkommensverteilung ziehen: Relevant für die Verteilungswirkung ist, ob die Inflation sehr volatil ist oder es sich um ein permanent erhöhtes Inflationsniveau handelt. Eng damit verbunden ist die Unterscheidung in eine erwartete und eine unerwartete Inflation. Es ist einfacher, sich an eine erwartete und permanent hohe Inflation anzupassen, wodurch auch weniger Auswirkungen auf die Einkommensverteilung zu erwarten sind.

Kurzfristig droht mehr Ungleichheit durch Inflation

Für die Verteilungswirkung der Inflation ist relevant, wie schnell sich die verschiedenen Einkommensquellen und die staatliche Regulierung anpassen

1. Lohn

Je höher die Marktmacht der Arbeitnehmer ist, desto schneller und umfassender dürfte eine Anpassung der Löhne an die Inflation erfolgen. Die Möglichkeit, höhere Löhne durchzusetzen, ist dabei bei Arbeitnehmern mit hohen Einkommen im Schnitt stärker ausgeprägt als in tieferen Einkommenssegmenten. Hinzu kommt ein organisatorischer Faktor: Tiefere Einkommen werden häufig in Kollektivverhandlungen bestimmt. Dies hilft zwar, die geringere Marktmacht dieser Arbeitnehmer auszugleichen, führt aber gleichzeitig zu einer Verzögerung der Lohnanpassung. Es ist davon auszugehen, dass durch diesen Effekt die Einkommensverteilung bei einem Inflationsschub ungleicher wird, zumindest vorübergehend.

2.Vermögenseinkommen

Diese sind vorrangig bei hohen und insbesondere sehr hohen Einkommen relevant. Dabei passen sich zahlreiche Einkommenskomponenten schnell an, insbesondere wenn sie auf realen Werten wie zum Beispiel Aktien beruhen. Einkommensströme aus anderen Vermögensbestandteilen, wie beispielsweise aus festverzinslichen Wertpapieren, passen sich hingegen meist nur längerfristig an. Da mit zunehmendem Vermögen – und so mit zunehmender Bedeutung des Vermögenseinkommens für das Gesamteinkommen – typischerweise der Anteil der realen Werte im Gesamtvermögen steigt, dürfte dies ebenfalls zu einer erhöhten Ungleichheit führen.

3. Staatliche Regulierung

Sozialleistungen werden zeitlich verzögert an die Inflation angepasst, was ebenfalls die Ungleichheit in der Einkommensverteilung kurzfristig verstärkt.

Zusätzlich geht ein auf die Einkommensverteilung wirkender Effekt vom Steuersystem aus. Das Steuersystem ist progressiv ausgestaltet – mit steigenden Einkommen steigt die Steuerlast überproportional an. Steigt das nominale Einkommen an, wird somit ein höherer Anteil des Einkommens als Steuern fällig. Werden nun die Löhne wegen der Inflation nach oben angepasst, steigt die prozentuale Steuerbelastung. Real betrachtet, also mit Blick darauf, was man von dem nach Steuern verbleibende Geld kaufen kann, ist das Einkommen somit gesunken (dies ist die sogenannte «kalte Progression»). Dieser Effekt betrifft insbesondere den mittleren Einkommensbereich, da hier die Progression besonders ausgeprägt ist. Somit verändert sich die Einkommensverteilung dadurch zu Lasten des Mittelstands.

Vermögensbestandteile unterschiedlich von der Inflation betroffen

Ein weiterer Aspekt sind die Auswirkungen auf das Vermögen. Individuen oder Institutionen mit Nettoschulden stehen dabei besser da als solche mit einem Nettovermögen. Des Weiteren sind in einem inflationären Umfeld bei den verschiedenen Anlageklassen reale Vermögen wie Aktien oder Immobilien gegenüber nominalen Vermögen wie Sparkonten oder Anleihen im Vorteil. In der Schweiz, mit einer tiefen Quote an Wohneigentum, dürfte die Inflation auch über die Vermögen eher zu Lasten einer höheren Ungleichheit wirken. Einen ausgleichenden Faktor stellen jedoch die Pensionskassen dar, welche stark in reale Werte investiert sind und insbesondere für wenig vermögende Personen einen grossen Vermögensbestandteil darstellen.

Erhöhte Inflation vermutlich nur kurzfristig

In der aktuellen Situation zum Jahreswechsel 2021/2022 erleben wir einen überraschenden und kräftigen Anstieg der Inflation. Allerdings spricht einiges dafür, dass es sich hier um eine temporäre Entwicklung handelt. Die Ursachen wie Nachholeffekte der schwachen Preisentwicklung 2020, die überraschend schnelle Erholung von der Corona-Pandemie mit kräftigen Anstiegen der Energie und Rohstoffpreise sowie die durch Lieferketten-Schwierigkeiten ausgelösten Angebotsknappheiten haben sich zu diesem kräftigen Inflationsschub kumuliert. Alle Ursachen sind vorübergehender Natur und werden voraussichtlich im Verlauf des ersten Halbjahres 2022 wieder verschwinden.

Die Auswirkungen auf die Einkommensverteilung in der Schweiz dürften daher stark begrenzt sein, zumal der Inflationsanstieg in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern geringer fällt. Insgesamt dürfte die Veränderung der Einkommensverteilung derzeit noch wesentlich stärker durch die weiterhin andauernde Corona-Pandemie und ihre Folgen geprägt werden.

Bank Cler Swiss Income Monitor

Mit grossem Interesse werden wir die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Schweizer Einkommensverteilung der Jahre 2020 und 2021 anhand des Bank Cler Swiss Income Monitor analysieren– auch wenn dies leider aufgrund der verzögerten Datenverfügbarkeit erst in einigen Jahren möglich sein wird.