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«Heute muss der Höhepunkt mit den ersten Takten beginnen»

Eine Zauberformel für Hitparadenerfolge kennt er nicht. Dennoch hat er so viele produziert wie kein anderer in der Schweiz. Wir haben den Musikproduzenten Roman Camenzind in seiner Hitmill besucht – und er verrät uns, in welche kreativen Fallen viele Schweizer Künstlerinnen und Künstler tappen.

Foto: sagbar, sagbar.ch

Welchen Song hören Sie immer wieder gern?

Da gibt es viele Evergreens, aber wenn ich mich spontan entscheiden muss, würde ich sagen: «Brothers in Arms» von den Dire Straits. Aber grundsätzlich langweilen mich Wiederholungen. Ich schaue immer nach vorn. Darum habe ich mich von der Bühne zurückgezogen und produziere selbst Musik. Im Studio kann ich meine Kreativität besser ausleben und jeden Tag Neues schaffen.

Was gefällt Ihnen an «Brothers in Arms»?

Der Klang der Gitarre. Der Virtuose Mark Knopfler schafft es, mit seiner Gitarre zu uns zu sprechen. Man hört die einzelnen Saiten, die Bewegungen der Finger. Der Song ist zwar sehr ruhig, hat aber Dynamik und Tiefe. Da sind viele Facetten und Pathos. Bei englischer Musik achte ich mehr auf den Klang als auf den Text. Bei Mundartmusik berührt mich vor allem der Text.

Was braucht es, damit ein Lied zum Evergreen wird?

Zuerst einmal muss ein Song erfolgreich sein. Das funktioniert nur, wenn er die Leute berührt und vom richtigen Absender kommt. Song und Künstler sollten eine Symbiose bilden. Ein Beispiel: Als Baschi den Song «Bring en hei» herausbrachte, wusste die ganze Schweiz, dass er ein leidenschaftlicher Fussballfan und Kicker ist. Zudem muss der Song den Zeitgeist treffen. Gelingt es ihm dann, eine gewisse Verbreitung zu erreichen, wirkt der Song wie ein Magnet für die Gefühle einer Zeit. Höre ich diesen Song später, ruft er Erinnerungen an diese spezifische Lebensphase hervor. Die Emotionen von damals kommen wieder hoch. Wir Menschen sind Nostalgiker. Und die Musik unserer Jugend hat immer einen anderen Platz im Herzen als Songs, die wir als Erwachsene hören.

Produzieren Sie die «Oldies» von morgen?

Das ist schon oft gelungen. Der Hit «Titelgschicht» von der Band Subzonic erschien 1999. Und als Mitgründer und Sänger erhalte ich heute mehr Feedback dazu als je zuvor. Schülerinnen und Schüler singen das Lied. Wenn Musik zum Kulturgut wird, kann man stolz darauf sein. Genau das haben wir mit Songs wie «Amerika» von Adrian Stern, «Bring en Hei» von Baschi, «Rosalie» von Bligg und «Heimatgfühl» von Megawatt erreicht. Insgesamt haben wir rund 2000 Songs komponiert, zehn davon werden derzeit immer wieder abgespielt.

Verraten Sie uns das Ohrwurm-Rezept?

Es gibt kein Pauschalrezept. Auch wenn man sich an bestimmte Formeln hält, entsteht nicht zwangsläufig ein Hit. Aber im Studio spüre ich meist, wenn ein Song gross wird. Ich höre gerne Pop-Musik und versuche eine Musik zu produzieren, die mir selbst gefällt. Da ich einen durchschnittlichen Musikgeschmack habe, weiss ich, was bei der Masse punktet. Wenn du einen Song mit einem extravaganten Gitarrensolo beginnst, sprichst du technisch versierte Gitarrenfans an – aber nicht das breite Publikum. Es ist eine Gratwanderung zwischen Hit und Irrelevanz. Pop-Musik zu produzieren, ist die Königsdisziplin. Es erfordert die Reduktion auf das Wesentliche und ein gutes Gespür. Ich bin Mitte 40. Es wäre falsch, so zu tun, als hätte ich die gleiche musikalische Prägung wie ein 20-Jähriger. Aber weil ich ein relativ junges Umfeld habe, kann ich mir das musikalische Feeling holen. Wenn ich einen Song für eine jüngere Zielgruppe produziere, verlasse ich mich weniger auf meinen eigenen Geschmack, sondern jenen eines Teammitglieds aus dieser Zielgruppe.

«Die Frage, wofür man steht, ist heute mindestens so wichtig wie die Stimme. Es ist die Persönlichkeit und ihre Geschichte, die interessiert.»

Eine gute Stimme reicht also nicht aus für den Erfolg im Musikbusiness.

Bei Weitem nicht. Jede Sängerin, jeder Sänger, kämpft um die Aufmerksamkeit von Zuhörern in einem Markt, auf den jeden Tag 10 000 neue Songs strömen. So übersättigt ist kein anderer Markt. Wer da keine klare Haltung vertritt, darf nicht erwarten, dass ihm Menschen zuhören. Die Frage, wofür man steht, ist heute mindestens so wichtig wie die Stimme. Es ist die Persönlichkeit und ihre Geschichte, die interessiert. Und wenn es Brüche im Leben gibt, erhöht dies die Spannung. Aus diesem Grund sprechen wir tagelang mit neuen Künstlern, bevor wir ein Instrument in die Hand nehmen. Ich möchte den Menschen spüren und herausschälen, was ihn einzigartig macht.

Der Name «Hitmill» ist eine Ansage. Wie viele Hits haben Sie schon lanciert?

Oh, ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Allein letztes Jahr landeten vier Alben auf dem ersten Platz. Künstler wie Heimweh und Megawatt oder Schwiizergoofe waren alle schon mal ganz oben.

Stehen Sie unter Erfolgsdruck?

Mich treibt es einfach an, Hits zu produzieren. Darum der Name «Hitmill». Wie schaffe ich es, einen Song aufs Wesentliche zu reduzieren? Es ist einfacher, ihn zu überfüllen. Glückt ein Hit, berührt man damit ganz viele Menschen. Das ist etwas anderes als den Musikgeschmack seines Onkels oder eines Musikjournalisten zu treffen.

Inwiefern haben TikTok & Co. Ihre Arbeit verändert?

Die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums ist gesunken. Als ich vor 28 Jahren als Produzent begann, baute man einen Song auf. Den Höhepunkt sparte man fürs letzte Drittel auf. Heute muss die Explosion in den ersten Takten starten. Der Song muss einen sofort mitreissen. Darum beginnen einige mit dem Refrain. Zudem sind die Songs kürzer geworden. Ältere Songs bestehen nicht nur aus Strophe und Refrain, sondern enthalten auch eine Bridge, worauf nochmals der Refrain folgt. Ich fand es spannend, Leute in der Bridge zu überraschen und einem Song eine neue Facette zu geben. Heute lässt man die Bridge oft weg. Die ganze Kreativität fliesst in Strophe und Refrain. Auch hat sich die Vermarktung von Songs verändert. Früher waren Musiker auf Gedeih und Verderb aufs Radio angewiesen. Heute können sie die Endkonsumenten auch über Social Media erreichen. Stubete Gäng, Heimweh und Megawatt haben es ohne die grossen Radios geschafft. Aber die Radios helfen nach wie vor, eine grosse und breite Zuhörerschaft zu finden.

Foto: sagbar, sagbar.ch

Was hältst du von Künstlicher Intelligenz (KI) im Musikbusiness?

Zu meiner Überraschung fristet sie noch ein Schattendasein. Die KI ist bei Videos und der Bildbearbeitung schon fortgeschritten. Demgegenüber steckt sie bei der Musik in den Kinderschuhen. Ich bin überzeugt, dass die KI auch die Musikbranche revolutionieren wird. Aber: Die Musikbranche erlebt alle vier Jahre eine Disruption. Schon vor 25 Jahren ist sie durch das MP3-Format und Peer-to-Peer-Netzwerke unter Druck gekommen, später musste sie sich im Zeichen des Streamings neu erfinden. Wer alle diese Entwicklungen erlebt hat, bekommt von neuen Technologien keine zitternden Knie mehr. Die KI wird uns helfen, Prozesse zu beschleunigen. Vielleicht können einige KI gewisse Arten von Musik relativ gut generieren. Bis eine KI auch Songs im Urner- oder Berner Dialekt schreibt und produziert, bin ich wahrscheinlich pensioniert.

Deine Kundenliste liest sich wie das Who’s Who der Schweizer Popwelt. Mit wem möchtest du noch zusammenarbeiten?

Ich empfinde mehr Reiz darin, mit neuen Künstlerinnen und Künstlern zusammen zu arbeiten als mit Stars, die auf ihrer Schiene schon festgefahren sind. Einige Musiker haben sich vielleicht die wichtigen Fragen gar nie gestellt. Aber sie bringen schon ihr Umfeld mit, dass sie prägt und mitreden will. Neue Künstler geben uns mehr Raum für Kreativität.

Sie sind also der Meinung, dass einige Stars ihr Potenzial nicht ausschöpfen?

Gerade in der Schweiz gehen viele Musikerinnen und Musiker den naheliegendsten Weg. Sie hören zum Beispiel alternativen englischen Pop – und spielen diesen nach. Dazu singen sie auf Englisch. Doch: Warum wähle ich als Ausdrucksform für meine Kunst eine Sprache, in der ich nur über einen kleinen Wortschatz verfüge? Und einen Sound, der nichts mit meiner Herkunft zu tun hat? Viele Künstler bemühen sich nicht, den Soundtrack zu finden, der zu ihrer Geschichte passt.

Pegasus ist erfolgreich mit englischen Liedern.

Als die Band zu mir gekommen ist, hatte sie schon Alben auf Englisch herausgebracht. Klar, wer international expandieren will, stösst mit Berndeutsch an Grenzen.

Was war bisher Ihr grösster Erfolg?

Beruflich? Ich habe als Einzelkämpfer begonnen, aber über all die Jahre das Hitmill-Team aufgebaut. Unsere 12 Mitarbeitende beschäftigen sich jeden Tag mit Musik, sind talentiert und motiviert. Meines Wissens gibt’s weder in Deutschland noch in der Schweiz eine andere Musikproduktionsfirma in unserer Grössenordnung.

Hitfabrikant

Als Schüler gründete Roman Camenzind mit Kollegen die Band Subzonic, mit welcher er erste Erfolge feierte. Parallel zu seiner Zeit auf der Bühne absolvierte er eine Ausbildung zum Applikationsentwickler, bis er voll auf die Karte Musikbusiness setzte. 1997 gründetet er die Firma Hitmill, die zu einem veritablen KMU herangewachsen ist.