Mit einer realen Wachstumsrate von rund 2,5% wächst die US-Wirtschaft seit dem Ende der Pandemie schneller als die Wirtschaft der Eurozone. Aber auch die Staatsverschuldung der USA in Form von handelsüblichen Schuldpapieren hat rund 100% der jährlichen US-Wirtschaftsleistung erreicht. Das ist doppelt so viel wie 2010 und so hoch wie letztmals zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie nachhaltig ist der Anstieg des US-Schuldenbergs und was sind die möglichen Auswirkungen?
Der US-Dollar ist die unangefochtene Währung für rund zwei Drittel des Welthandels. Nur der Euro kann, mit grossem Abstand, ein wenig Konkurrenz als alternative Handelswährung liefern. Andere Währungen wie der japanische Yen oder der chinesische Yuan Renminbi sind nur am Rande relevant. Für absehbare Zeit sind keine wirklich ernst zu nehmenden Alternativen zum Greenback in der Abwicklung des Welthandels in Sicht.
Das derzeit robuste US-Wirtschaftswachstum von real etwa 2,5% und damit nominal gut 5% sorgt für eine Relativierung des US-Schuldenproblems. Eine hohe Staatsverschuldung wird oft erst dann akut erdrückend, wenn die Schuldzinsen höher steigen als das nominale Wachstum der Wirtschaft. Dies war in den letzten Jahrzehnten und sogar nach der jüngsten Zinswende für die US-Wirtschaft nie der Fall. Allerdings wäre es naiv und gefährlich, anzunehmen oder gar bloss zu hoffen, dass man sich durch ein Plus an Wachstum stets von einer drohenden Schuldenfalle fernhalten kann. Diese tief verwurzelte amerikanische Tendenz zu einer stets optimistischen Einschätzung der Zukunft stellt aus der Perspektive der skeptischeren Europäer ein durchaus ernsthaftes Problem dar. Der schuldenfinanzierte US-Investitionsschub verzerrt für die EU in gewissen Bereichen den Wettbewerb.
«Der US-Dollar ist die unangefochtene Währung für rund zwei Drittel des Welthandels. Nur der Euro kann, mit grossem Abstand, ein wenig Konkurrenz als alternative Handelswährung liefern.»Dr. Sandro Merino, Chief Investment Officer
Höhere Zinsen bei tiefem (nominalem) Wirtschaftswachstum oder gar eine Rezession können die latenten Risiken einer Überschuldung plötzlich in ein anderes und bedrohliches Licht rücken. Die wiederholten Krisen seit der Jahrtausendwende (Finanzkrise, Eurokrise, Pandemie, Kriege) belegen, wie externe Schocks den Wachstumsausblick erheblich eintrüben können. Trifft eine hohe Staatsverschuldung auf plötzlich steigenden Inflationsdruck und dadurch steigende Zinsen, kombiniert man dies mit schwachem Wirtschaftswachstum, dann sind negative Auswirkungen auf die globale Finanzstabilität zu befürchten. Der US-Notenbank und der EZB gelang es in den letzten Jahrzehnten, Krisen durch eine Vielzahl von Massnahmen einzudämmen. Es bleibt aber die bange Frage im Raum, ob die Resilienz des Finanzsystems durch die weiter steigende US-Staatsverschuldung nicht schon stärker in Mitleidenschaft gezogen wurde, als dies heute sichtbar ist.
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) drängt in seinem Länderbericht vom Juli 2024 auf eine Begrenzung des US-Schuldenwachstums. Im Bericht wird die im Kern heftige Kritik an der US-Haushaltsführung zwar mit sehr viel Lob zur derzeit starken Performance der US-Wirtschaft versüsst, er weist aber dennoch unmissverständlich darauf hin, dass bei unveränderter Ausgabenfreude die US-Staatsverschuldung bereits 2032 bei 140% des BIP liegen könnte. Als bittere Medizin empfiehlt der IWF jährlich eine Kürzung von 4% der Staatsausgaben, was ein Jumbo-Sparpaket von gut 1 Billion USD pro Jahr bedeutet. Eine derart harte Austeritätspolitik hätte laut dem IWF unweigerlich erhebliche soziale Härten zur Folge. Weder Kamala Harris noch Donald Trump hatten im Wahlkampf versprochen, die Steuern zu erhöhen und dabei die Staatsleistungen zu senken, ganz im Gegenteil. Es ist aber wohl nur eine Frage der Zeit, bis eines Tages eine künftige US-Administration zu sehr unpopulären Sparmassnahmen gezwungen sein könnte.
Die spektakulär missratene Budgetskizze von Liz Truss vom 23. September 2022 liefert zwar keine übertragbare Analogie für US-Risikoszenarien. Dennoch mahnt die schmerzvoll kostspielige Erfahrung der Briten zu grosser Vorsicht bei Fragen der Finanzstabilität. Liz Truss hatte mit nur 49 Tagen die bisher kürzeste Amtszeit aller britischen Premierministerinnen und -minister. Die mit ihren geplanten Steuersenkungen verbundenen Unsicherheiten zur langfristigen Tragbarkeit der britischen Staatsverschuldung haben die Nachfrage nach britischen Staatsanleihen fast sofort kollabieren lassen. Damals lag die Inflation im Vereinigten Königreich bei rund 10% und happige Zinserhöhungen waren im Anmarsch. Wahrlich kein geeigneter Zeitpunkt für umfangreiche Steuergeschenke. Nur durch massive Interventionen konnte die Bank of England die selbst verschuldete Schieflage beheben. Die Lektion daraus ist, dass nicht die Höhe der Verschuldung allein massgeblich ist, sondern dass auch ein verändertes Umfeld zu einer unerwarteten Marktreaktion führen kann. Investorinnen und Investoren wenden sich von staatlichen Schuldpapieren ab, wenn das Vertrauen in die nachhaltige Tragbarkeit ins Wanken gerät.
Ein Haushaltsdefizit amerikanischer Dimension von über 5% ist ein Finanzloch, das jeden Finanzminister in der Eurozone um seinen Schlaf und wohl oft auch um sein Amt bringen würde. Tatsächlich ist die Staatsverschuldung der Eurozone als Ganzes seit 2020 von knapp 98% auf etwa 89% des BIP gefallen. Vor der Pandemie lag sie bei vergleichsweise noch moderaten 84%. Diese Schuldenbegrenzung in den Ländern der Eurozone gelang dank verschiedenen nationalen Schuldenbremsen und dem damit verbundenen Sparkurs bei den Staatsausgaben. Die Verwerfungen der Eurokrise, d.h. jene der europäischen Staatsschuldenkrise zwischen 2010 und 2013, waren prägend für eine Trendwende hin zu einer strikteren Einhaltung der Haushaltsdisziplin. Auch die hohe Inflation in den Jahren 2022 und 2023 hat dazu beigetragen, dass die nominale Wirtschaftsleistung stärker angestiegen ist als die im Betrag fixierten und damit von der Inflation nicht aufgeblähten Schulden. Die Maxime, dass Inflation für Schuldner gut sei, traf zu und dies hat den Druck der Schuldenlast für die Eurozone spürbar, wenn auch nicht grundlegend, reduziert.
Die notwendigen Investitionen sollen nach Mario Draghi hauptsächlich von der Privatwirtschaft finanziert werden. Allerdings sieht er die staatliche Seite dennoch gefordert. Die weitere Integration des EU-Finanzsystems sowie ein staatlicher Investitionsbeitrag aus einem zu schaffenden EU-Budget würde die EU an die Strukturen in den USA etwas angleichen. Eine moderate Lockerung der Schuldenbremse im Bereich eines Zusatzdefizits von 1% des BIP, nicht von 5% wie in den USA, wäre zur Finanzierung von Investitionen allenfalls hinzunehmen. Ob ein solches Investitionsprogramm über einen gemeinsamen Investitionsfonds und gemeinschaftlich emittierte Eurobonds realpolitisch mehrheitsfähig wäre, mag im aktuellen politischen Umfeld bezweifelt werden. Das Problem des schleichenden Verlustes an globaler Wettbewerbsfähigkeit der EU bleibt so aber ungelöst.
Es ist davon auszugehen, dass auch die neue US-Regierung an den hohen Ausgaben und damit an den Budgetdefiziten festhalten wird. Auch wenn dies beim heutigen Schuldenstand kein Anlass zur Sorge ist, bedeutet es einen weiteren Anstieg der Schuldenquote in Relation zum BIP. Steigende globale Schuldenquoten der Staaten, geopolitische Risiken und die jüngsten Inflationserfahrungen bestärken uns in unserer Ansicht, dass Gold eine sinnvolle Beimischung in jedem Portfolio darstellt. Wir haben entsprechend in unseren Vermögensverwaltungsmandaten eine strategische Quote von 5% festgelegt.
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