CIO Kommentar, Montag, 4. April 2022
Nach dem Rückzug der russischen Truppen aus den nördlichen Vororten Kiews, insbesondere aus Bucha, Irpin und Hostomel hinterlassen sie massive Zerstörungen und hunderte zivile Opfer.
Alles deutet bisher auf bestialische Kriegsverbrechen der russischen Truppen hin. Der internationale Gerichtshof für die Verfolgung von Kriegsverbrechen wird die Vorfälle untersuchen und dokumentieren.
Die russische Regierung dementiert diese Berichte und behauptet, die Aufnahmen seien inszeniert worden. Dabei hatten aber Flüchtlinge aus diesen Vororten schon unmittelbar nach Kriegsbeginn von wahllosen Erschiessungen von Zivilisten berichtet, welche sie auf ihrer Flucht beobachtet hatten. Allein diese Augenzeugenberichte machen das russische Dementi sehr unglaubwürdig.
Es ist zu befürchten, dass weitere Gräueltaten der russischen Armee in den Gebieten aus denen sie durch die ukrainische Armee vertrieben wurden, ans Licht kommen werden. Dass die russische Öffentlichkeit sich heftiger gegen den Krieg auflehnen könnte, scheint derzeit aber wenig wahrscheinlich. Die Staatsmedien Russlands erschaffen täglich eine alternative Realität aus frei erfundenen Lügen und erzählerischen Konstruktionen. Sie scheinen damit ihre Propaganda Ziele vorerst zu erreichen.
Die EU verurteilt die Taten der russischen Truppen aufs schärfste und bereitet eine weitere Verschärfung der Sanktionen vor. Das Verwirrspiel um die Zahlungsmodalitäten für russisches Gas läuft auf die Frage hinaus, ob die EU ihre Zahlungen weiterhin so durchführen kann, dass ihre Zahlungen auf russischen Euro-Konten landen, die aufgrund der Sanktionen gesperrt sind. Russland strebt an, dass diese Mittel künftig in Rubel konvertiert werden müssten und so die russische Währung stützen würden. Trotz aller Sanktionen ist der Rubel nach einem ersten starken Einbruch gegenüber dem Dollar nur gut 10% schwächer als vor dem Krieg.
Die russische Wirtschaft hat eine sehr tiefe Auslandverschuldung und erwirtschaftete aufgrund der fossilen Energieexporte über die vergangenen Jahre hohe Leistungsbilanzüberschüsse. Dadurch konnten über die Zeit hohe Währungsreserven angehäuft werden, die durch die Sanktionen nur teilweise unzugänglich geworden sind.
Trotz der Einigkeit der EU und der USA ist es deswegen nicht einfach mittels Sanktionen Druck auf Putins Regierung aufzubauen. Dennoch ist das moralische Dilemma für Länder wie Italien oder Deutschland, dass man weiterhin hohe Beträge an Russland für den Gas-Bezug überweist, immer belastender.
Ein generelles Verbot für russische Schiffe zum Anlaufen der Häfen von Ländern, welche die Sanktionen unterstützen, steht heute ebenfalls im Raum. Aber auch diese Sanktion dürfte, wie die Frage des Energieembargos, an den Vorbehalten zu den negativen wirtschaftlichen Folgen auf Widerstand treffen.
Die Möglichkeiten des Westens Russland auf die kurze Frist zu einem Ende des Krieges zu bewegen, wirken aus ökonomischer Sicht leider begrenzt. Wenn der Westen aber glaubwürdig machen könnte, dass neue sehr harte Sanktionen für sehr lange Zeit aufrechterhalten werden, könnte dies einen Einfluss auf Russlands Handeln haben.
Litauen hat als erstes EU-Land den Bezug von Gas aus Russland eingestellt und kann sein vorsorglich erstelltes Flüssiggas Terminal in Klaipedos an der Ostsee nutzen.
Deutsche Ökonomen und Vertreter der deutschen Industrie sind sich über das Ausmass der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen eines sofortigen Stopps deutscher Energiebezüge aus Russland uneinig. Die Folgen wären aber vor allem im kommenden Winter voraussichtlich beträchtlich und dürften eine Rezession für die deutsche Wirtschaft bedeuten.
Es ist derzeit kaum vorstellbar, dass sich die Beziehungen der EU und der USA zu Russland in absehbarer Zeit wieder normalisieren könnten. Mittelfristig wird die EU sich darauf einstellen müssen, dass Energieimporte aus Russland für lange Zeit nicht mehr vertretbar sind. Es wird mindestens ein bis zwei Jahre dauern bis alternative Lieferwege für fossile Energien aufgebaut werden können.
Obwohl der bisherige Misserfolg des russischen Militärs immer offensichtlicher wird, bleibt das Szenario eines lang andauernden und äusserst grausamen Krieges leider weiterhin sehr real.
Auch nach den verstörenden Funden in Kiews Vororten und der andauernden vollständigen Vernichtung der Stadt Mariupol, gehen die diplomatischen Gespräche zwischen der Ukraine und Russland dennoch weiter.
Die russischen Angriffe scheinen sich derzeit auf die Donbass Bezirke und den Süden der Ukraine zu fokussieren. Insbesondere gerät auch die strategisch wichtige ukrainische Hafenstadt Odessa zunehmend unter Beschuss.
Trotz stark gestiegener Inflationszahlen bleibt der US-Arbeitsmarkt im März sehr robust. Die Arbeitslosigkeit ist gegenüber Februar nochmal leicht gefallen und befindet sich mit 3.6% sehr nah bei einem 50-Jahres tief und damit bei Werten, die vor der Pandemie herrschten. In der Eurozone erreicht die Inflation mit 7.5% im März gegenüber dem März im Vorjahr ein neues Hoch.