Wöchentlicher CIO Kommentar, Montag,11. Mai 2020 - Dieser CIO-Kommentar erscheint neu einmal pro Woche montags.
Am heutigen Montag beginnt auch in der Schweiz die zweite Etappe im Lockerungsplan des Bundesrates. Obligatorische Schulen, Geschäfte und mit starken Einschränkungen auch Restaurants und Bars können wieder öffnen. Die Zahlen zur Entwicklung der Pandemie sind in Europa und der Schweiz weiterhin ermutigend, so dass man mit vorsichtiger Zuversicht in diese neue Phase eintreten kann.
In der gestrigen Sonntagspresse hat sich der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Thomas Jordan, zu verschiedenen Aspekten der Covid-19 Krise geäussert. Dem Aufwertungsdruck der auf dem Schweizer Franken lastet, konnte bisher durch stärkere Devisenkäufe begegnet werden. Das Volumen der Devisenkäufe dürfte dabei im April im Bereich von 5 bis 8 Milliarden CHF pro Woche gelegen haben. Damit steigt auch die Bilanzsumme der SNB weiter. Inzwischen sind die seit 2009 mehr oder weniger linear angewachsenen Währungsreserven der SNB auf einen Wert von rund 800 Milliarden CHF angestiegen. Auch die wohl bewusst in Aussicht gestellte Option, dass die SNB die Zinsen noch negativer als heute ansetzen könnte, scheint an den Devisenmärkten die gewünschte Wirkung zu erzielen. Einen unmittelbare Inflationsdruck durch die lockere Geldpolitik erwartet Thomas Jordan aufgrund der gegenwärtigen Deflationstendenzen nicht. Hingegen ist über die nächsten Jahre eine Wende beim Inflationstrend und den Zinsniveaus aus seiner Perspektive vorstellbar.
Die Risiken einer solch grossen SNB-Bilanz bewertet Thomas Jordan als vertretbar. Die Möglichkeit, dass die Nationalbank bei einem Einbruch des Wertes von Euro und Dollar mehr als das Eigenkapital an Verlusten erleiden könnte, ist wohl zunehmend ein Szenario, das durchaus im Bereich des denkbaren liegt. Schliesslich sind historisch betrachtet, rasche Abwertungen des Dollars oder des Euros um 10 % nicht ganz so selten. Die untenstehende Graphik zeigt die Wertverluste seit dem jeweils letzten Höchststand für die Wechselkurse EURCHF und USDCHF, was nicht ein gerade beruhigendes Bild darstellt, wenn man grosse Expositionen zu EUR und USD trägt.
Entsprechend erklärt Thomas Jordan, dass die SNB in einem solchen Szenario auch mit negativem Eigenkapital normal weiterarbeiten könnte. Die Gewinnausschüttungen an die Kantone wären dann aber nicht mehr so grosszügig wie in der Vergangenheit und Kapital müsste über die Zeit, zumindest langsam, wiederaufgebaut werden. Allerdings könnte diese Anomalie eines negativen Eigenkapitals der SNB auch zu einer willkommenen Schwächung des Schweizer Frankens führen. Im besten Fall würde sich die Stabilisierung der Situation sozusagen von alleine wiedereinstellen. Ein negatives Eigenkapital ist ja nicht sehr vertrauensbildend für die Stabilität und Stärke einer Währung. Dies ist zumindest wohl die Vorstellung, wie sich eine solches Szenario glimpflich bewältigen liesse.
Weniger klar, ist was ein Zerfall der Eurozone und ein Streit zwischen den Euroländern um die Schuldenstände innerhalb des Eurosystems auslösen könnten. Die nationalen Zentralbanken könnten ihre Verpflichtungen gegenüber der EZB bei einem Euroaustritt nicht erfüllen wollen. Diese sogenannten Target 2 Saldi der nationalen Zentralbanken gegenüber der EZB, die man durchaus als eine Art der Schulden Vergemeinschaftung betrachten kann, sind eine Art Tabuthema der öffentlichen Diskussion in Deutschland. Sie passen genau so wenig in den politischen Diskurs, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe von letzter Woche zur Verfassungswidrigkeit eines Anleihen Kaufprogramms der EZB. Am Handeln der EZB wird das Urteil mittelfristig nichts ändern. Aber, so wie schon letzte Woche hier kommentiert, schliessen wir uns der Einschätzung des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble vom Wochenende zum Urteil aus Karlsruhe an. «Die Gefahr besteht darin», so Schäuble im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung «dass auch die Verfassungsgerichte anderer Mitgliedstaaten sich auf das Bundesverfassungsgericht berufen und dem EuGH nicht folgen». Dem «Redaktionsnetzwerk Deutschland» wiederum sagte der Bundestagspräsident: «Es kann gut sein, dass in anderen EU-Mitgliedstaaten nun auch der Bestand des Euro in Frage gestellt wird – weil ja jedes nationale Verfassungsgericht für sich urteilen könne.» Schäuble fügte hinzu: «Diese Situation macht niemandem Freude.»
Dieser Kompetenzkonflikt zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem deutschen Bundesverfassungsgericht schafft Rechtunsicherheit auf höchster Rechtsebene. In einem hypothetischen und aus heutiger Sicht glücklicherweise nach wie vor sehr unwahrscheinlichen Szenario des Austritts eines Eurozone Mitglieds aus der Währungsunion, entstehen durch das Urteil zusätzliche. Spannungen zwischen nationaler Souveränität und der Autorität supranationaler gemeinschaftlicher Institutionen wie die EZB. Auch diese Aspekte, die nur sehr schwer einschätzbar sind, muss man bei der Beurteilung der Risiken einer 800 Milliarden SNB Bilanz einfliessen lassen. Allerdings, ist eine Alternative zur heutigen Politik der SNB, bei der die Aufwertung des Schweizer Frankens einfach akzeptiert würde, eine ebenfalls sehr problematische Option und sie ist aus unserer Sicht nicht wünschenswerter. Somit muss man wohl in diesen ungewöhnlichen Zeiten diese ungewöhnlichen Risiken der SNB letztlich wohl aushalten. Einfach zu verdrängen, wie sich diese Risiken im Extremfall auswirken könnten, ist aber nicht ratsam.
Für unsere Anlagestrategie bedeutet dies letztlich, dass ein einseitiger Fokus auf Schweizer Wertschriften, trotz der sehr guten Ergebnisse die eine solche Strategie in den letzten 10 Jahren erreicht hat, nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Eine breite und globale Diversifikation macht auch aus der Sicht des, bisher relativ sicheren, Hafens Schweiz durchaus Sinn.
Nach den katastrophalen, aber erwarteten, Daten aus dem US-Arbeitsmarkt vom Freitag, muss man auch diese Woche mit vielen schlechten Indikatoren aus der Wirtschaft rechnen. Am Mittwoch wird ein Rückgang der Industrieproduktion in der Eurozone für den Monat kommuniziert. Am Freitag kommen dann die Zahlen zur Entwicklung des Wirtschaftswachstums der Eurozone im ersten Quartal. Alle diese Zahlen werden keine Freude machen, aber die Finanzmärkte werden, in Kenntnis des erfolgten Lockdowns, kaum davon überrascht sein.
Am heutigen Montag eröffnen die weltweiten Aktienmärkte leicht negativ. Die europäischen Aktienmärkte sind etwa 0.5 % im Minus. Der Schweizer SMI-Index ist aktuell etwa 0.25% im Minus. Für die US-Aktienmärkte wird heute ebenfalls eine negative Eröffnung von ca. -0.25% erwartet. US-Aktien verlieren seit Jahresanfang je nach Index (Dow Jones / Standard % Poors 500) aktuell etwa 10% bis 15%, europäische Aktien etwa 23%, Schweizer Aktien etwa 9.25% und chinesische Aktien (CSI 300 Index) etwa 3.5 % (alle Zahlen per 11.5.2020 ca. 11:45, Basel Zeit, Markbewegungen seit Jahresanfang in CHF bewertet).
Wir wiederholen an dieser Stelle erneut, dass Angst ist in diesem Umfeld kein guter Ratgeber ist. Wir raten an Aktienpositionen festzuhalten. Möchten Sie regelmässig über die aktuelle Börsenlage informiert werden? Dann abonnieren Sie jetzt unseren Investment Letter.