CIO Kommentar, Montag, 11. Juli 2022
Das heute beginnenden Wartungsfenster für die North Stream 1 Gas Pipeline soll am 21. Juli eigentlich abgeschlossen werden. Bis dann ist der Gasfluss durch die Pipeline North Stream 1 vorerst gestoppt.
Nach Aussage der russischen Gaslieferanten soll anschliessend der Gasfluss wieder hochgefahren werden. Dennoch warnen Europäische Minister davor, dass man sich auf das Szenario eines Gaslieferstopps aus Russland einstellen sollte. Im Gegensatz zu Erdöl kann dabei der Bezug von Gas nicht rasch auf andere Lieferwege umgestellt werden.
Nach den bisherigen Erfahrungen mit Russlands Verhalten muss also damit gerechnet werden, dass Russland über die Gaslieferungen erneut Druck auf Europa ausüben wird.
Dabei wird Putin den Zeitpunkt für einen Gaslieferstopp aus Sicht Europas möglichst ungünstig festlegen. Die Liefermengen für Gas wurden bereits in den letzten Monaten reduziert.
Dies mit der offensichtlichen Absicht, dass die europäischen Gas-Lager während den Sommermonaten nicht rasch präventiv aufgestockt werden konnten.
Vermutlich wird Russland den Gasfluss nicht vollständig unterbrechen und Gründe vorschieben, weshalb die Lieferungen eingeschränkt werden müssten. Die viele Jahrzehnte lang von Russland eingehaltenen Lieferverträge sind auf lange Sicht wertvoll für Russland. Ein offen deklarierter Gas-Lieferstopp Russlands als Druckmittel würde für Europa eine langfristige strategische Abkehr von russischen Energielieferungen definitiv besiegeln. Kurzfristig stellt dies Europa vor grosse Herausforderungen, jedoch verspielt Russland seine Glaubwürdigkeit als Energielieferant nachhaltig mit enormem wirtschaftlichem Schaden.
In Deutschland aber auch in der Schweiz bereiten sich die Regierungen auf den kommenden Winter vor. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire spricht sogar aus, dass Russland die Gaslieferungen auf den Winter hin wohl einstellen wird. In früheren Jahren hat Deutschland etwa 50% seiner Gasimporte aus Russland bezogen. Der Anteil am Primärenergiebedarf Deutschlands in Form von Gas macht etwa 25% aus. Damit ist russisches Gas für etwa 12.5% der Primärenergiebedarfs Deutschlands vorgesehen. Für die Schweiz ist etwa die Hälfte, weil Gas nur mit etwa 12% im Schweizer Primärenergiebedarf vorkommt.
Im Falle eines Gaslieferstopps muss in Deutschland wohl mit staatlich festgelegten Rationierungen der Gasliefermengen an die Industrie gerechnet werden. Ähnliche Massnahmen sind auch für die Schweiz in Planung.
Eine Rezession in der Eurozone ist im Falle eines Lieferstopps zu erwarten und in Verbindung mit nochmals gestiegenen Energiepreisen wäre auch eine Rezession in der Schweiz wohl unausweichlich.
Dieses Szenario muss im Lichte des weiterhin aggressiven Verhaltens Russlands wohl so als Basisszenario angenommen werden.
Es gibt derzeit wenig Anzeichen dafür, dass der Krieg in der Ukraine bald beendet werden könnte. Gegenwärtig steht die Stadt Donezk unter intensivem russischem Angriff.
Auch wenn die russische Armee mit ihrer Taktik der kompletten Zerstörung ziviler Siedlungen seit Anfang Juni weitere Gebiete im Osten der Ukraine erobern konnte, so sind die Gebietsgewinne nur sehr opferreich und langsam erfolgt. Soll der Westen, wie oft betont, einen faktischen Sieg Russlands wirklich verhindern, dann braucht es weiter Entschlossenheit, Geschlossenheit und Geduld um Russland weiterhin die Stirn zu bieten.
Russland kontrolliert derzeit etwa 25% des ukrainischen Staatsgebiets und wenn am Ziel der Wiederherstellung der vollständigen Souveränität der Ukraine festgehalten werden soll, so muss der wirtschaftliche, politische und militärische Druck auf Russland für lange Zeit aufrechterhalten werden. Es zeichnet sich ab, dass Russland einen sehr hohen Preis für diesen Krieg bezahlt und langfristig einen wirtschaftlichen und politischen Niedergang erleben wird. Wie Russland die besetzten ukrainische Gebiete langfristig halten soll, ist ebenfalls unklar.
Die am Freitag veröffentlichten US-Arbeitsmarktdaten für Juni haben den Erwartungen entsprochen. Insbesondere lassen sie eine durchaus erhoffte Abkühlung des Arbeitsmarktes in der zweiten Jahreshälfte erwarten. Am kommenden Mittwoch 13. Juli wird die Bekanntgabe der US-Konsumentenpreisinflation erwartet. Die Konsensus Prognose von 8.8% erwartet gegenüber Mai (8.6%) einen nochmaligen leichten Anstieg. Damit könnte aber die Spitze der US-Inflationsentwicklung nun aber erreicht worden sein.
Der Rückgang der Verfallsrenditen für langlaufenden Staatsanleihen hat zu einer Erholung der Obligationenkurse geführt. Damit haben sich konservative Anlagestrategien (Einkommen) seit den Performance-Tiefständen im Juni etwas erholt.
Der SMI-Index ist gegenwärtig praktisch unverändert. Der Deutsche DAX-Index verlierst etwa 0.6%. Für die US-Aktienmärkte wird heute Verlust von etwa 0.5% erwartet (Stand ca. 12:00 Uhr, 11.7.2022, Basel Zeit).