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Marktausblick

Ausweitung und Intensivierung des Kriegs in der Ukraine

CIO Kommentar, Montag, 14. März 2022

Dr. Sandro Merino, Chief Investment Officer

Am kommenden Donnerstag beginnt bereits die vierte Kriegswoche in der Ukraine. Durch die hartnäckige Verteidigung der ukrainischen Armee konnte Putins Angriff weder die Haupstadt Kiev noch die Städte Mariupol und Odessa am Schwarzen Meer erobern. Aber auch in Städten die von der russischen Armee derzeit kontrolliert werden, beispielsweise in Cherson, sammeln sich Ukrainerinnen und Ukrainer in grosser Zahl, um gegen die Besatzer zu demonstrieren. Selbst Warnschüsse durch russische Soldaten oder gar Schüsse auf einzelne Demonstranten können den Widerstandswillen nicht brechen.

Russland ist bei der Erreichung der wichtigsten Kriegsziele auch nach drei Wochen gescheitert und es deutet mehr und mehr darauf hin, dass Russland diesen Krieg nicht militärisch beenden kann. Dies führt offenbar zu Frustration auf russischer Seite und damit leider zu intensivem und rücksichtslosem Beschuss ziviler Ziele. An besonders zerstörten Orten, ist das Vorgehen der russischen Armee durchaus vergleichbar mit der brutalen Taktik russischer Streitkräfte in Syrien oder in Tschetschenien. Dass der Westen in Syrien weitgehend tatenlos blieb, sogar dann, als die von Barack Obama 2013 gesetzte rote Linie mit dem Einsatz des Nervengases Sarin überschritten wurde, dürfte Russland zu dieser Invasion eher ermutigt haben. Dass heute syrische Flüchtlinge die bisher sehr dehnbaren Wertmassstäbe der USA und der EU nicht nachvollziehen können, ist verständlich und legitim.

Am Sonntag wurden auch russische Luftschläge ganz im Westen der Ukraine ausgeführt. Ziele, die somit bedrohlich nah an der polnischen Grenze liegen. Die logistische Infrastruktur, um Waffen und Nachschub aus der NATO in die ukrainischen Kriegsgebiete zu transportieren, dürfte solche Stützpunkte im Westen der Ukraine nutzen. Dies weiss auch die russische Aufklärung und somit waren Angriffe mit zielgenauen Luft-Boden Raketen leider zu befürchten.

Man muss nur sehr begrenzte Russisch-Kenntnisse besitzen, wie in meinem Fall, um die Berichterstattung auf russischen Staatssendern in ihrem Kern zu erfassen ("RTR Planeta" z.B.). Die Bilder in den Nachrichtensendungen kommen nur aus den jüngst von Putin ausgerufenen «Fake Republiken» Donetzk und Lugansk. Wenn überhaupt zerstörte Wohngebiete zu sehen sind, dann werden diese als Folge der Angriffe ukrainischer «Faschisten» dargestellt.

Wer George Orwell's Roman «1984» für eine bloss imaginierte und überspitzte Dystopie hielt, wird durch den durschlagenden Erfolg russischer Staatspropaganda für die Meinungsbildung in Russland eines besseren belehrt. Dennoch, sogar in den russischen Staatsmedien werden nun mehr und mehr tote russische Soldaten geehrt. Auch wenn es bisher nur sehr wenige Gefallene sind, die im Fernsehen mit wehender Fahne geehrt werden, so soll russischen Müttern und Vätern wohl nach und nach mit viel Pathos eröffnet werden, dass Tausende junger russischer Soldaten unfreiwillig für Putins sinnlosen Krieg zu «Helden» geworden sind.

Die russische Menschenrechtsgruppe OVD zählt bereits weit über 14'000 Inhaftierungen russischer Demonstranten, die sich öffentlich gegen den russischen Überfall auf die Ukraine stellen. Russische Oppositionelle wie Alexei Nawalny, Schachweltmeister Garri Kasparow oder der Autor Michail Schischkin kreiden vielen westlichen Politikern seit vielen Jahren an, gegenüber Putin unentschuldbar naiv gewesen zu sein. Einige hatten auch davor gewarnt, dass Putin einen Krieg vorbereitet. Schon die, vermutlich auf Befehl Putins, 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja hatte durschaut, mit was für einem Geist der Westen wirtschaftliche Kooperationen sucht. Ihre Bücher sind aus heutiger Sicht geradezu prophetisch und haben mein tiefes Misstrauen gegenüber Putins Russland und seiner korrupten Wirtschaft geprägt.

Aus der Sicht der meisten Oppositionellen unterscheidet sich Putin und sein Machtzirkel in ihrem Verhalten und in ihrer Skrupellosigkeit nicht von einer Mafia Organisation. Für Schischkin ist Putin kein Staatsmann und er wird auch keinen Atomkrieg riskieren. Sein Ziel ist Selbst- und Machterhaltung. Putins System hat das russische Volk seit über 20 Jahren systematisch belogen und wirtschaftlich geplündert.

Dennoch haben sich Putin und seine Kleptokratie auf diplomatischer Ebene für lange Zeit einen Anschein von Respektabilität bewahrt. Sogar ein amerikanischer Präsident hat ihm freundlich zugespielt. Und selbst jetzt gibt es im US-Kongress einzelne offene Sympathisanten für Putin. Putin durfte 2014 zu olympischen Spielen einladen, um unmittelbar danach, kaum sanktioniert, die Krim zu besetzen.

Es war Putin dabei stets sehr wichtig, eine Fassade von verfassungsmässiger Legitimation zu bewahren, obwohl alle Wahlen durch Einschüchterung oder Inhaftierung aller Gegenkandidaten eine reine Farce waren. Der Westen war blind, obwohl viele Stimmen deutlich gewarnt hatten. Jetzt sind alle Masken endgültig gefallen und die Ukrainer erleben Putins wahres Gesicht.

Achillesferse Energieversorgungsicherheit der EU?

Putins handeln zerstört nicht nur die Ukraine sondern auch die russische Wirtschaft. Diese befindet sich gerade im freien Fall. Der offizielle Zahlungsausfall Russlands droht schon diese Woche. Russland verfügt zwar buchhalterisch über die Substanz um theoretisch Zahlungen auszuführen. Das Schatzamt hat aber keinen operativen Zugang mehr auf seine Guthaben, um die Coupon Zahlungen tatsächlich auch auszulösen.

Der bekannte US-Ökonom Paul Krugman erwartet auch nicht, dass vermehrte russische Energieexporte nach China dazu beitragen könnten, die Sanktionen zu umgehen. Krugman argumentiert, dass Öl und Gas nach China transportiert werden müssten. Entweder über einen Seeweg mit Tankern oder über Pipelines. Die geographische Lage Chinas erlaubt keinen sinnvollen Seeweg und die Pipelines nach China sind heute nicht vorhanden. Somit würde ein komplettes EU Öl- und Gasembargo Russland äusserst hart treffen.

Russland könnte den Energiefluss in die EU auch von sich aus stoppen. Dass dies nicht geschehen ist, zeigt wohl die tiefe Abhängigkeit Russlands von diesen noch verbleibenden harten Deviseneinnahmen. Paul Krugman erwartet für 2022 einen Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung um 10% oder mehr.

Die deutsche und auch die niederländische Regierung haben sich vorerst gegen einen kompletten Importstopp der EU für russisches Gas ausgesprochen. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar, da Versorgungsengpässe für die deutsche Industrie im kommenden Winter deutlich spürbar sein könnten. Aber das Argument, dass Russland sein Öl und Gas einfach an andere verkauft und die Sanktion damit sowieso wirkungslos ist, scheint laut Krugman wenig stichhaltig.

Die Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften) hat in einer ad-hoc-Stellungnahme vom 8. März 2022 mit dem Titel «Wie sich russisches Erdgas in der deutschen und europäischen Energieversorgung ersetzen lässt» aufgezeigt, mit welchen Massnahmen einer Versorgungskrise begegnet werden könnte. Die 9-seitige Stellungnahme finden Sie hier.

«Die Stellungnahme kommt zu dem Schluss, dass auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar wäre. Engpässe könnten sich im kommenden Winter ergeben, es bestünde jedoch die Möglichkeit, durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets die negativen Auswirkungen zu begrenzen und soziale Auswirkungen abzufedern.»
Fazit der Leopoldina Studie

Die Drohung Russlands Gaslieferungen einzustellen, ist somit aus der Sicht kompetenter Fachleute zwar substanziell aber weit weniger existenziell bedrohlich für Deutschland und die ganze EU, als dies manchmal dargestellt wird. Für die Schweiz ist die Situation bezüglich russischem Erdgas weit weniger bedrohlich. Dies weil Erdgas im Energiemix der Schweiz nur etwa halb so viel Gewicht hat wie für Deutschland und weil die Schweiz in der Lieferinfrastruktur für Erdgas günstiger eingebettet ist (Energie-Fakten und Zahlen (CH)).

Ob die EU, wie die USA, ebenfalls ein totales Embargo für russische Energie beschliessen wird, hängt auch vom weiteren Kriegsverlauf ab. Fällt Kiev nicht und halten auch andere grosse ukrainische Städte der russischen Belagerung stand oder bleiben zumindest unkontrollierbar für die russischen Truppen, dann könnte Russland schon bald zu gesichtswahrenden Verhandlungen gezwungen sein.
Dabei zeichnet sich schon ab, dass der Sturz Selenskyj's und das Ziel der Einsetzung einer Marionetten Regierung nach russischem Gusto mit jedem Tag unerreichbarer wird. Das wirtschaftliche Erdbeben das Russland bald erfassen wird, könnte dabei auch Putins Macht zumindest erschüttern. Die Zeit beginnt schneller und schneller gegen Russland zu laufen. Gemäss letzten Meldungen könnte schon in den nächsten Tagen ein direktes Videogespräch zwischen Putin und Selenskyj möglich werden. Ein erstes Eingeständnis der Niederlage Putins, da er mit einem von ihm als nicht legitimen Vertreter der Ukraine verhandeln muss.

Was sich gemäss der Leopoldina Studie ebenfalls abzeichnet, ist ein beschleunigter und tiefgreifender Umbau der europäischen Energieversorgung hin zu nachhaltigen Energiequellen. Das ist zwar ein ökonomischer Kraftakt, aber Europa schützt damit nicht nur das Klima sondern erreicht mittelfristig auch eine autonomere und sicherere Energieversorgung.

Erwartungen für Konjunktur und Finanzmärkte

Diese Woche könnte wieder viel Volatilität bringen. Es ist so gut wie sicher, dass die US-Notenbank Fed am Mittwoch die Leitzinsen um 0.25% erhöhen wird. Die weitere Zinsentwicklung bleibt aber unsicher. Die US Inflation der Konsumentenpreise könnte im März auf über 8% ansteigen und liegt für Februar bereits bei 7.9%, was geldpolitisch höchst besorgniserregend sein muss. Das Risiko, dass ein Kampf gegen die hohe Inflation mittels höherer Zinsen am Ende lediglich die Konjunktur abwürgt und damit alles nur noch schlimmer macht, erscheint sehr hoch in der gegenwärtig unsicheren Lage. Entsprechend umsichtig und vorsichtig dürfte die US-Notenbank agieren und die Zinsen somit nur sehr graduell anpassen.

Die hohen Energiepreise könnten in dieser Woche in beide Richtungen stark schwanken. Zum einen sind stärkere EU-Sanktionen weiterhin ein Thema und könnten durch weitere Entwicklungen im Konflikt doch noch ausgelöst werden. Andererseits versuchen die EU und die USA mit diplomatischen Anstrengungen Länder, die Öl und Gas fördern, zu höherer Produktion zu bewegen.

Heutige Marktentwicklung und Anlagestrategie

In unserer Anlagestrategie halten wir weiter eine spürbar reduzierte Aktienquote. Wir sehen aber die Möglichkeit, dass ein diplomatischer Ausweg aus dieser akuten Phase der Krise erkennbar wird. Eine greifbare Hoffnung auf ein Ende des Krieges in der Ukraine und die Aussicht auf eine annehmbare Verhandlungslösung wäre ein positives Signal für den ökonomischen Ausblick in Europa und würde sich stabilisierend auf unsere Finanzmärkte auswirken.

Das Investment Committee hat zudem beschlossen, in den Strategien, in welchen Rohstoffe allokiert sind, ein aktives Rebalancing bei diesen vorzunehmen. Die Rohstoffpreise sind in den letzten Wochen wegen des Kriegs von Russland gegen die Ukraine stark gestiegen. Es besteht zwischenzeitlich marktbedingt eine deutliche Übergewichtung zur strategischen Quote (Vermögensverwaltungsmandate Strategie Fokus Schweiz Ausgewogen: 8,5 % vs. Benchmark von 5 %). Nach dem Rebalancing werden die Rohstoffe nur noch leicht (d. h. ca. 1 %) über der strategischen Quote von 5 % liegen. Der Verkaufserlös wird in CASH US-Dollar allokiert.

Die neue Woche beginnt an den Finanzmärkten mit Gewinnen. Der SMI steigt um gut 0.70% und der Euro Stoxx 50 um über 1%. Die US-Aktienmärkte dürften 0.5 % bis 1 % stärker eröffnen. (Stand ca. 10:30 Uhr, 14.03.2022, Basel Zeit)

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