CIO Kommentar, Montag, 24. Januar 2022
Nebst der Erwartung höherer US-Leitzinsen, als Reaktion auf die jüngste Inflationsentwicklung, belasten auch die Spannungen mit Russland zunehmend die Aktienmärkte. Es sind zwar weitere diplomatische Bemühungen geplant, insbesondere ein virtuelles Treffen zwischen Joe Biden und Vladimir Putin, jedoch sind die Entwicklungen besorgniserregend.
Der teilweise Abzug von US-Botschaftsmitarbeitenden aus Kiew, die Unterstützung der Ukraine mit Waffensystemen aus Grossbritannien und den baltischen Staaten, sowie die Ankündigung der USA, dass zusätzliche militärische Kräfte in Osteuropa und im Baltikum stationiert werden sollen, deuten nicht auf eine Entspannung der gefährlichen Lage hin. Sollten russische Truppen in die Ukraine einfallen, könnten die Sanktionen gegen Russland das Land ökonomisch hart treffen. Allerdings sind auch die wirtschaftlichen Abhängigkeiten der EU mit Russland weit bedeutender als jene der USA.
Russland ist, direkt hinter der Schweiz, mit einem Handelsvolumen von ca. 175 Milliarden Euro der fünft-wichtigste Handelspartner der EU. Russland erzielt Dank der Energieexporte einen deutlichen Handelsbilanzüberschuss mit der EU, ihrem weltweit weitaus wichtigsten Handelspartner.
Man darf dabei nicht vergessen, dass Russland zwar neben den USA die einzige andere globale atomare Supermacht darstellt, jedoch ist das wirtschaftliche Gewicht Russlands, global betrachtet, bescheiden geworden: Die Wirtschaftsleistung (BIP) Russlands ist etwa 20% geringer als jene Italiens.
Die EU und die USA haben gemeinsam eine etwa 20 Mal höhere Wirtschaftsleistung als Russland und die russische pro Kopf Wirtschaftsleistung ist 2020 mit 10'100 USD pro Kopf zum ersten Mal tiefer als jene Chinas. Hinter dem machtbewussten Auftritt Putins verbirgt sich eine wirtschaftliche Realität, in der endemische Korruption und Abwanderung der kreativsten Köpfe zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und dem Westen geführt hat.
Eine geschlossene ökonomische Antwort der USA und der EU könnte die russische Wirtschaft somit hart treffen.
Der Ausblick auf noch höhere Energiepreise im Lichte der ohnehin stark gestiegenen Inflation ist für die EU ein unbequemer Aspekt der angedrohten Sanktionen.
Insbesondere ist im Vereinigten Königreich aufgrund der kombinierten Auswirkungen des Brexits, der Pandemie und des Inflationsanstiegs eine eigentliche Krise der Lebenshaltungskosten im Gange, die besonders Haushalte mit tiefen Einkommen äusserst hart trifft.
Dennoch sind die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse so, dass westliche Sanktionen die russische Wirtschaft mittelfristig weitaus dramatischer treffen könnten als umgekehrt. Insbesondere wären Sanktionen, welche die Oligarchen in Putins Umfeld persönlich und direkt träfen abschreckend.
Die nächsten Tage und Wochen könnten für die weitere Entwicklung dieser Krise entscheidend sein. Auch wenn die Vorzeichen pessimistisch stimmen, bleibt zu hoffen, dass eine Deeskalation dank anhaltender diplomatischer Gespräche dennoch gelingt.
Seit seinem Höchststand im November hat der US-Technologieindex Nasdaq (CCMP) etwa 15% an Wert verloren. Damit ist schon mehr als die Hälfte der Rendite die 2021 erzielt wurde, wieder verloren gegangen. Der veränderte US-Zinsausblick, die neuen Pandemie-Risiken für China und die Kriegsgefahr in Europa haben diesem wachstumsorientierten Sektor in den letzten Monaten besonders zugesetzt.
Der US-Technologiesektor bleibt im Lichte der dynamischen Megatrends Digitalisierung und Life Sciences aber weiterhin sehr attraktiv. Gerade für jene Schweizer Anleger, welche fast ausschliesslich in Schweizer Aktien investieren, bringt eine Anlage in den US-Markt eine sinnvolle und attraktive Diversifikation.
Die gegenwärtige Korrektur stellt aus unserer Sicht für Anleger die wenig oder gar keine Exposition in die US-Technologiebörse haben, eine Einstiegsmöglichkeit dar.
Die neue Woche beginnt an den Finanzmärkten mit deutlichen Verlusten: Der SMI verlierst aktuell fast 2%, der DAX ist etwa 1.75% im Minus.
Für die US-Aktienindices wird gegenwärtig mit moderaten Verlusten bei Eröffnung erwartet (Stand ca. 11:30 24.1.2022, Basel Zeit).