CIO Kommentar, Montag, 6. April 2020
Die Stabilisierung und mancherorts der sich bestätigende Rückgang neuer Infektionszahlen in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien weckt die Hoffnung auf den Beginn einer Normalisierung ab Ende April. In Österreich und Dänemark wird erwartet, dass die Regierungen schon in den nächsten Tagen Pläne für begrenzte Lockerungen des aktuellen lock-down kommunizieren. Auch die Zahlen der täglich bestätigten neuen Infektionen in der Schweiz ist deutlich zurückgegangen. Eine rasche Rückkehr zur Normalität wird es aber nicht geben, dass die Zahlen besser geworden ist ja gerade Ausdruck der Wirksamkeit der getroffenen Isolationsmassnahmen. Somit werden in den meisten Europäischen Ländern die Massnahmen bis Ende April voraussichtlich nur wenig gelockert werden können. Die Sorge um einen erneuten Anstieg ist nicht unberechtigt: In Japan sind die Zahlen der neuen Infektionen in den letzten Tagen stark angestiegen und obwohl Japan bisher weniger als 4000 bestätigte Fälle registriert, befürchtet man eine ähnliche Entwicklung wie in Europa oder den USA.
In den USA hingegen steigt die Zahl neuer Infektionen weiterhin rasch an. Bereits sind in den USA etwa 335'000 Infektionen erfasst und der Trend deutet auf eine Verdoppelung in 7 bis 10 Tagen hin. Nach Ostern könnte diese Zahl schon doppelt so hoch sein, als jene aller in der EU erfassten Corona Infektionen. In den USA werden die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie in den nächsten Wochen sogar noch strikter werden müssen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Die Finanzmärkte eröffnen heute wohl aufgrund eines etwas besser einschätzbaren Zeithorizonts für den wirtschaftlichen Neustart deutlich positiv. Auch die Hoffnung auf eine Einigung beim Treffen der Eurogruppe zur Frage der Euro-Bonds stützt heute die Aktienmärkte.
Die Frage der Corona Bonds die gemeinsam von Staaten der Eurozone emittiert werden könnten, bestimmt die derzeitige Tagung der Euro-Gruppe. Das ist das Gremium in welchem die Wirtschafts- und Finanzminister der Euro-Staaten Fragen zum Euro-Stabilitätspakt und die Finanzierung der Haushalte beraten. Die Meinungsdivergenzen zwischen den 9 Staaten die Corona- oder Euro-Bonds vorgeschlagen haben und Staaten wie Deutschland, Österreich und die Niederlande, welche eine Lösung über existierende Stabilisierungsmechanismen vorschlagen, bleiben weiterhin gross. Das Anliegen der Staaten, die von der Corona Krise auch wirtschaftlich besonders hart getroffen werden, ist offensichtlich: Zugang zu möglichst langfristigen Krediten zu möglichst tiefen Zinsen in ausreichendem Umfang um nicht nur die aktuelle Notlage zu überbrücken, sondern auch um ein Investitionsprogramm für den Neustart finanzieren zu können. Ob eine Lösung dabei den Namen Corona-Bond, ESM-Fonds oder anders heissen wird, ist eine Verpackungsfrage, solange die erwähnte Wirkung erreicht wird.
Des Ausmasses des wirtschaftlichen Einbruchs ist tatsächlich bedrohlich. Schätzungen des Britischen Research Hauses Capital Economics gehen von einem Einbruch des globalen BIP um ca. 3 %. Anfang Jahr war die Prognose noch +3 %. Zuletzt ist die Wirtschaft nur nach dem 2. Weltkrieg im Jahr 1945 in ähnlichem Umfang eingebrochen (-5.5 %). Für Italien schätzt Capital Economics einen Einbruch der Wirtschaftsleitung im laufenden Jahr um etwa 10 %. Es ist fraglich, ob ein für Spanien oder Italien sehr bedeutender Wirtschaftszweig wie der Tourismus sich rasch erholen wird. Trotz massiver staatlicher Hilfsprogramme gehen viele Prognostiker davon aus, dass die Arbeitslosigkeit in der Eurozone rasch auf 15 % steigen wird. Das ist etwa eine Verdoppelung der aktuellen Quote.
Ohne eine gemeinschaftliche Finanzierung und somit ohne eine gemeinschaftliche Haftung für die Finanzierungsrisiken droht in der EU ein historischer Riss.
Ein solcher Riss wird nicht sofort zu einem Auseinanderfallen der Euro-Gemeinschaft führen, aber es ist zu erwarten, dass die bevorstehende harte wirtschaftliche Notlage in einigen Ländern der Eurozone zur Evaluation aller Alternativen führen wird. Auch ein Austritt aus dem Euro bei gleichzeitiger Nichtbedienung der Staatschuld und eines Neuanfangs mit eigener lokaler Währung könnte politisch zur Option werden.
Dabei ist zu bedenken, dass sich das blosse Andeuten einer neuen politischen Mehrheit in Italien oder Spanien, die diesen Weg ernsthaft in Erwägung zieht, zu einer Unumkehrbaren Kettenreaktion führen könnte. Auch der anfänglich als unmöglich eingeschätzte Brexit sollte uns mahnen, das «Undenkbare» nicht auszuschliessen. Wie dabei die im Detail Verflechtungen zwischen der Staatsverschuldung und der EZB im Streitfall aufgelöst würden, (Stichwort Target 2 Guthaben der Deutschen Bundesbank über 820 Milliarden Euro bei der EZB), könnte im Streitfall zum Zankapfel werden. Noch kann die Eurogruppe in dieser Woche aber eine vielleicht historische und wegweisende Einigung finden. Es geht um sehr viel.
Dass Vergleiche mit einem Marshall-Plan für Europa gezogen werden, ist mit Hinblick auf die Dimension der Herausforderung somit nicht ganz unangebracht. Der Marshall-Plan unterstützte Europa von 1948 bis 1952 und hatte das anfängliches Ziel die Nahrungsmittelversorgung sicherzustellen. Die USA zahlten über seine 4-jährige Laufzeit etwa 14 Milliarden USD (nach heutiger Kaufkraft etwa 150 Milliarden USD), den grössten Teil «à fonds perdu». Dabei gingen 25 % der Mittel an Grossbritannien, 20% an Frankreich und je etwa 10 % an Italien und Deutschland. Spanien erhielt aufgrund des Weiterbestandes der faschistischen Diktatur Francos nach dem Krieg keine Hilfe aus dem Marshall-Plan. Insofern dass heute die Eurogruppe eine langfristige Finanzierung eines Investitionsprogramms für die Eurozone diskutiert wird und keine à-fonds-perdu-Zahlungen im Raum stehen, ist der Vergleich zum Marshall-Plan aber nicht wirklich sinnvoll.
Am heutigen Montag eröffnen die weltweiten Aktienmärkte deutlich positiv Trend. Die europäischen Aktienmärkte gewinnen aktuell etwa 2% - 4%. Der Schweizer SMI Index ist knapp 2% im Plus. Auch für die US-Aktienmärkte wird heute eine deutlich positive Eröffnung erwartet. US-Aktien verlieren seit Jahresanfang je nach Index (Dow Jones / Standard % Poors 500) aktuell etwa 23% bis 26%, europäische Aktien etwa 26%, Schweizer Aktien etwa 11% und chinesische Aktien (CSI 300 Index) etwa 10% (alle Zahlen per 6.4.20 ca. 12:30, Markbewegungen seit Jahresanfang in CHF bewertet).
Wir wiederholen an dieser Stelle erneut, dass Angst ist in diesem Umfeld kein guter Ratgeber ist. Wir raten an Aktienpositionen festzuhalten. Möchten Sie regelmässig über die aktuelle Börsenlage informiert werden? Dann abonnieren Sie jetzt unseren Investment Letter.