CIO Kommentar, Montag, 09. Mai 2022
Am Mittwoch 4. Mai hat die US-Notenbank Fed die Leitzinsen für den USD von 0.5% auf 1% angehoben. Die Folgen für den Aktienmarkt waren recht spektakulär. Zunächst feierten die Märkte den Zinsentscheid am Mittwoch mit einem unerwarteten Kurssprung bei US-Aktien von fast 3% (S&P 500 Index). Am darauffolgenden Donnerstag brach der US-Aktienmarkt wieder um über 4% ein. Expertinnen und Experten zerbrechen sich nun den Kopf, um Erklärungen für dieses manisch-depressive Verhalten der US-Aktienbörsen zu finden. Wie immer finden sich im Nachhinein sehr plausibel tönende Erklärungen. Erwartet war dieses wilde auf und ab allerdings nicht – auch von uns nicht.
Die US-Notenbank hat ihre geldpolitische Ausrichtung deutlich gestrafft, um die rekordhohe Inflation in den Griff zu bekommen. Die wilden Zuckungen am Aktienmarkt zeigen, dass im Markt doch Zweifel bleiben, ob die beabsichtigte Anhebung der USD-Leitzinsen auf gut 3% die Inflation erfolgreich eindämmen werden. Ausserdem wäre wenig gewonnen, falls die Inflationskontrolle nur zum Preis einer US-Rezession gelingen würde. Die Dramatik an den Aktienmärkten drückt also, wie das häufig der Fall ist, die Unsicherheit über das Gelingen der geldpolitischen Massnahmen aus. Die längerfristigen Inflationserwartungen sind derzeit, trotz gegenwärtig hoher Inflation, noch auf tiefem Niveau verankert (etwa 2.5%). Sollte sich dieser Anker jedoch losreissen, was durch deutlich steigende langfristige Zinsen angezeigt würde, dann wäre die US-Notenbank wohl in Rücklage und müsste die Zinsen kräftiger anheben.
Erfahrene Investorinnen und Investoren wissen aber, dass man in solchen Phasen dennoch Ruhe bewahren sollte. Trotz Krieg in Europa, hoher Inflation und der Gefahr des Scheiterns von Chinas radikaler Pandemie-Strategie bleiben viele Signale weiter positiv. Die rekordtiefe Arbeitslosigkeit in den USA und in Europa, die robuste Konjunktur und die robusten Unternehmensgewinne deuten nicht auf eine unmittelbar bevorstehende US-Rezession hin.
Zurzeit gehen die Bemühungen der EU ein Öl-Embargo gegen Russland zu beschliessen weiter. Offenbar scheitert die Initiative nach wie vor an den Bedenken Ungarns.
Es wird aber erwartet, dass längere Übergangsfristen einen Kompromiss ermöglichen werden. Das Überraschungsmoment gegen Russland ist gering, denn es bleibt Russland genug Zeit, um sein Öl, allenfalls zu einem tieferen Preis, an andere Länder zu verkaufen. Die mittelfristige Perspektive für die russische Wirtschaft ist aber dennoch ausgesprochen düster. Viele Expertinnen und Experten erwarten, dass die russische Wirtschaftsleistung bis Ende 2023 um etwa ein Achtel kleiner sein wird als noch vor dem Krieg.
Auch der heutige russische Feiertag, der «Tag des Sieges», hat wie erwartet keine Chance für einen Waffenstillstand oder gar für ein Ende des Krieges geboten.
In seiner heutigen Rede auf dem roten Platz hat Vladimir Putin direkte parallelen zwischen den enormen Opfern, die das russische Volk und die rote Armee im zweiten Weltkrieg erbracht haben und dem Konflikt in der Ukraine gezogen. Putin verteidigt den Überfall auf die Ukraine mit der steigenden faschistischen Bedrohung gegen Russland, die in seiner Darstellung in der Ukraine entstanden war.
Auch der Nato weist Putin erneut die Schuld am Krieg in der Ukraine zu und betont, dass er im Vorfeld des Konfliktes Vorschläge zur friedlichen Lösung der Differenzen vorgelegt habe.
In einer Schweigeminute wurde der Gefallenen und Verwundeten in der «Operation» gegen die Ukraine gedacht. Dieses implizite Eingeständnis, dass es in der Ukraine Verluste gegeben hat, deutet darauf hin, dass die hohe Zahl gefallener russischer Soldaten für Putin innenpolitisch zu einem Problem werden könnte.
Putins Rede enthielt insgesamt keine wesentlichen neuen Elemente. Die Ankündigung einer umfangreicheren Mobilmachung in Russland oder gar eine Kriegserklärung blieb aus. Vielmehr beschwört Putin mit viel Pathos das russische Volk, ihn bei der Verteidigung Russlands gegen die Faschisten in der Ukraine zu unterstützen.
Es ist auch aufgefallen und war unerwartet, dass Putin keine Beispiele für militärische Erfolge seines aktuellen Feldzuges erwähnt hat. Dies wohl auch deswegen, weil es keine symbolisch verwertbaren Beispiele solcher militärischen Erfolge gibt. Im Gegenteil, offenbar ist es der ukrainischen Armee in den letzten Tagen vorerst gelungen, den russischen Angriff auf die zweitgrösste ukrainische Stadt Charkiw zurückzuschlagen. Trotz viel Pathos muss es Putin mehr und mehr klar werden, dass seine Militäroperation bisher ein katastrophaler Misserfolg war.
Dass heute der patriotische und aufopferungsreiche Sieg der roten Armee im zweiten Weltkrieg mit einer gescheiterten Militäroperation in der Ukraine direkt in Verbindung gebracht wurde, könnte sich als Fehler herausstellen. Das Andenken an den zweiten Weltkrieg ist derart tief im historischen Bewusstsein Russlands verankert, dass dessen propagandistische Vermengung mit einem eklatant gescheiterten und brutalen Angriffskrieg auf einen Nachbarn kaum nachhaltig miteinander vereinbar sein werden. Falls das russische Volk feststellen wird, dass Putin das Andenken an den zweiten Weltkrieg mit seiner Darstellung belastet, dann könnte er in Ungnade fallen. Putins leichtfertiges und opportunistisches Spiel mit den tiefen Verletzungen der russischen Seele ist zweischneidig.
Die Aktienmärkte eröffnen heute in Europa, unter dem Einfluss des US-Börsenschlusses vom Freitag, negativ und fallen etwa 1.5%.
Der deutsche DAX-Index verliert etwa 1% und der SMI ebenfalls etwa 1.3%. Für die US-Aktienmärkte wird nach den Verlusten vom Freitag erneut eine negative Eröffnung von etwa -0.5% erwartet.
In unserer Anlagestrategie halten wir an unserer neutralen Aktienquote fest. Auch die deutliche Untergewichtung von Obligationen zugunsten von Liquidität und diverserer alternativen Anlagen wird beibehalten (Stand ca. 12:00 Uhr, 9.5.2022, Basel Zeit).